Ein Prädikat drückt eine Handlung, eine Aktion, ein Ereignis oder einen Ablauf aus. Es kann aus einem Verb bestehen (einfaches, übereinstimmendes, produktives oder Modal-Verb) oder eine Eigenschaft / einen Zustand des Subjekts oder Objekts beschreiben.
Dazu einige Beispiele:
(a) IX-1 SCHLAFEN II 00:37-00:39
‚Ich schlafe.‘
Das Prädikat in Beispiel (a) besteht nur aus dem einfachen Verb „SCHLAFEN“. Es darf mit weiteren Informationen angereichert werden, wenn die Handlung detaillierter wiedergegeben werden soll:
(b) IX-1 SCHLAFEN PROD-halten(Bettdecke) II 00:55-00:58
‚Ich schlafe unter der Decke.‘
Mit dem Hinzufügen der produktiven Gebärde wird das Hochziehen der Decke angezeigt. Damit wird ausgedrückt, dass die gebärdende Person im Bett liegt und schläft.
Im folgenden Beispiel wird mit dem Prädikat eine Eigenschaft beziehungsweise ein Merkmal einer Katze näher beschrieben:
(c) IXa KATZE PROD-Form(Ohrspitz) || 01:07-01:10
‚Die Katze hat spitze Ohren.‘
In Beispiel (d) wird der Zustand eines Subjekts durch das Prädikat ausgedrückt:
(d) IX-3 FRAU KRANK IX-3 || 01:30-01:32
‚Die Frau ist krank.‘
Zum Prädikat können also sowohl eine Handlung wie auch eine Eigenschaft oder ein Zustand gehören.
Ein Subjekt kann aus einer oder mehreren Gebärden bestehen. Zwingend vorhanden sein muss eine Pronominale Referenz (Index, ICH, DU, ER/SIE/ES).
Im folgenden Beispiel (a) besteht das Subjekt-Satzglied aus 4 Gebärden:
(a) IX-3 PROFESSOR PERSON IX-3 00:23-00:25
‚Der Professor.‘
Die Reihenfolge dieser vier zum Subjekt zählenden Gebärden spielt eine untergeordnete Rolle. Da sie alle an derselben Stelle im Gebärdenraum ausgeführt werden, sind sie als zum Subjekt gehörend identifizierbar. Diese räumliche Verortung ist wichtiger als die Reihenfolge der einzelnen Gebärden.
Dasselbe Subjekt könnte auch mit nur 2 Gebärden (b) oder nur 3 Gebärden in unterschiedlicher Reihenfolge (c) gebildet werden, abhängig von den bereits bekannten Kontextinformationen:
(b) IX-3 PROFESSOR 00:48-00:49
‚Der Professor.‘
(c) PERSON IX-3 PROFESSOR 00:50-00:51
‚Der Professor.‘
(d) PROFESSOR IX-3 PERSON 00:53-00:54
‚Der Professor.‘
In diesem Kapitel wird der Aussagesatz genauer betrachtet. Innerhalb eines Aussagesatzes lassen sich unterschiedliche Einheiten (Satzglieder) unterscheiden: Subjekt, Objekt/e und Prädikat (Verb). Ein vollständiger Minimalsatz muss mindestens ein Subjekt und ein Prädikat enthalten.
Zur Veranschaulichung des Prinzips der Informationsstruktur in Gebärdensprachen folgen drei Beispiele:
(a) BUS PROD-anhalten IX-1 WARTEN PROD-öffnen(Türe) IX-1 PROD-einsteigen || 00:09-00:14
‚Ich warte auf den Bus und steige dann in den angekommenen Bus ein.‘
(b) TISCH(re) PROD-Form(Schale) FRÜCHTE PROD-Menge(Früchte) KATZE PROD-sitzen(Katze auf Tisch, rechts) || 00:15-00:20
‚Die Katze sitzt rechts neben der Früchteschale auf dem Tisch.‘
(c) GESTERN IX-1 THEATER EINTRETEN IX-1 PROD-gehen-entlang (Saal) PROD-Menge (Menschen) IX-1 PROD-gehen(Sitzreihe) PROD-sitzen SCHAUEN | THEATER SCHÖN Geste(sehr) || 00:21-00:29
‚Gestern konnte ich mir das Theater auf einem Platz vorne im vollen Saal ansehen. Es hat mir sehr gut gefallen.‘
Alle Beispiele zeigen auf, dass in Gebärdensprachen zunächst das Hauptthema benannt und danach auf die Handlung fokussiert wird.
In Beispiel (a) wird zuerst der heranfahrende Bus thematisiert, anschliessend folgt der Handlungsablauf „auf den Bus warten – das Öffnen der Türe – das Einsteigen in den Bus“.
Beispiel (b) setzt zuerst den Tisch in den Raum, positioniert anschliessend die Schüssel darauf, füllt diese mit den Früchten und benennt erst zuletzt die Katze, welche rechts neben der Schüssel sitzt. In diesem Beispiel ist die visuelle Logik von Gebärdensprachen gut erkennbar: Da sich Schüssel und Katze auf einem Tisch befinden, können sie unmöglich zuerst platziert werden; sie würden sonst auf den Boden fallen. Diese Logik ist ebenfalls in Beispiel (a) ersichtlich: Es kann erst in den Bus eingestiegen werden, wenn dieser da ist, angehalten hat und sich die Türen geöffnet haben.
Beispiel (c) macht den gestrigen Theaterbesuch, welcher gefallen hat, zum Hauptthema. Erst danach folgt die Beschreibung des Theatersaals und des Erlebten beziehungsweise ein persönliches Statement dazu.
Aufgrund der Dreidimensionalität von Gebärdensprachen und ihrer visuell-gestischen Modalität lassen sich Informationen zu einem grossen Teil simultan vermitteln. Gebärdensprachen beinhalten aber auch lineare Elemente. Simultane und lineare Elemente werden auf spezifische Art und Weise miteinander kombiniert: Eine Aussage wird durch linear aufeinanderfolgende Einheiten gebildet. Jede dieser Einheiten wiederum setzt sich aus simultanen, also zeitgleich ausgeführten nichtmanuellen und manuellen Komponenten zusammen. So folgen sich simultan aufgebaute Elemente in linearer Abfolge.
In gesprochenen Sprachen werden gewisse Informationen der Kommunikation ebenfalls simultan vermittelt (Gesprochenes und Nicht-Gesprochenes oder ‚nonverbale’ Verhaltensweisen der Gesichts- und Handgesten); die einzelnen Wörter und Wortteile des Satzes jedoch sind linear angeordnet. In Gebärdensprachen ist der Anteil an Simultaneität viel grösser als dies bei Lautsprachen der Fall ist. In Lautsprachen ist die Abfolge von Wörtern und Wortteilen zudem recht genau festgelegt. In Gebärdensprachen besteht hier mehr Spielraum (s. Kapitel 3.20 und 3.30).
Das Prinzip, nach welchem Informationen in Gebärdensprachen angeordnet sind (Informationsstruktur), das Prinzip „Vom Allgemeinen zum besonderen Detail“ hat nichts mit physischer Grösse / Struktur zu tun. Das „Grosse / Allgemeine“ kann verstanden werden als der Rahmen, der Hintergrund oder der Kontext einer Erzählung oder Beschreibung, der zu Beginn aufgezeigt wird. Dies kann die Angabe des Themas sein, die Beschreibung der Situation oder des Ereignisses, des Ziels oder eines anderen wichtigen Aspekts einer Aussage. Nach dieser Einführung rücken detaillierte, spezifischere Informationen zu den beteiligten Personen, dem Ort des Geschehens, zum Wie usw. in den Fokus. Zum Abschluss wird oft noch einmal der Bogen zum grossen Ganzen / Allgemeinen geschlagen, zu dem zu Beginn eingeführten Kontext.
Die Informationsstruktur ist die Art und Weise, wie verschiedene Arten von Informationen in der Struktur des einzelnen Satzes und von Satzgruppen (Diskurs) ausgedrückt werden. Dazu gehören die Annahmen der Gebärdenden darüber, was die Diskursteilnehmenden bereits wissen (bekannte Informationen) und was sie noch nicht wissen (neue Informationen). In vielen Gebärdensprachen und gesprochenen Sprachen werden die bekannten Informationen in der Regel am Anfang des Satzes und die neuen Informationen am Ende des Satzes ausgedrückt.
Bei der Betrachtung der Informationsstruktur in Gebärdensprachen ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass diese Sprachen dreidimensional sind.
Dinge, Personen und Ereignisse werden im Gebärdenraum verortet und durch räumliche Bezüge zueinander in Beziehung gestellt. Die mit dem Körper erzeugten Aussagen wiederum werden über das Auge wahrgenommen. Die visuell-gestische Modalität der Gebärdensprachen hat Einfluss darauf, wie die zu vermittelnden Informationen in einem Satz oder Diskurs angeordnet werden (Informationsstruktur) und auf die Grammatik dieser Sprachen.
Die visuelle Wahrnehmung der Realität ermöglicht es Gebärdenden, einige Aspekte der realen Welt wie Zeitabläufe, Aussehen von Dingen und Personen sowie Handlungen nachzuahmen und nach bestimmten Regeln räumlich und visuell abzubilden.
Die Art und Weise, wie Informationen in DSGS strukturiert sind, in welcher Reihenfolge diese angeordnet werden, folgt dabei einem bestimmten Prinzip. Dieses Prinzip wird im Folgenden bezeichnet als „Vom Allgemeinen zum besonderen Detail“ oder „Vom Grossen zum kleinen Merkmal“ für Sätze, die physische Formen beschreiben: In einer Erzählung oder Beschreibung werden oft zuerst allgemeine Hintergrundinformationen vermittelt (bekanntes Wissen zur Herstellung des Kontextes) und dann folgen schrittweise spezifischere Informationen, wird auf Details fokussiert. Der Aufbau von Aussagesätzen folgt diesem Prinzip.
Es lassen sich Aussagesatz, Fragesatz und Aufforderungssatz (Befehl oder Wunsch) unterscheiden. In diesem Kapitel wird aufgezeigt, wie ein Aussagesatz gebildet wird. Wie aufeinanderfolgende Aussagen miteinander verbunden werden, wird in Kapitel 4 Aussagen verbinden erläutert.
Es gibt drei Möglichkeiten zu signalisieren, dass jetzt gleich eine Frage gestellt wird. Nachfolgend die unterschiedlichen einleitenden Formulierungen und entsprechende Beispiele dazu:
Einleitung ‚ICH FRAGE DICH‘:
Winken | ICH 1FRAGEN2 | IX-2 KÖNNEN IX-1 2HELFEN1
jn-?
2KOMMEN1 PROD-tragen || 00:16-00:20
‚Ich habe eine Frage: Kannst du mir tragen helfen?‘
jn-?
Winken | ICH MÖGLICH SCHNELL | NACHHER 1IX2 BESPRECHEN || 00:21-00:25
‚Ich habe eine Frage: Können wir das nachher kurz besprechen?‘
Anstelle dieser Einleitung (‚Ich habe eine Frage‘) kann auch ein Fragezeichen in die Luft gezeichnet werden. Diese Möglichkeit wird aber eher in höheren Registern (Referate, Workshops, formelle Anlässe) benutzt.
Einleitung: ‚BITTE‘:
Wird eine Frage auf diese Weise eingeleitet, so handelt es sich um eine Bitte beziehungsweise Aufforderung.
jn-?
Winken | BITTEN | IX-2 KÖNNEN IX-1 2HELFEN1 PROD-tragen || – 00:52-00:55
‚Kannst du mir bitte tragen helfen?‘
Dies ist eine höfliche und etwas formellere Einleitung einer Frage.
Einleitung ‚AUFMERKSAM-MACHEN‘:
Mit dieser einleitenden Formulierung soll jemanden an etwas erinnert, auf etwas aufmerksam gemacht werden im Sinne von ‚Ist dir bewusst, dass …?‘ ‚Du weisst, dass …?‘.
jn-?
Winken | WEISST-IX-2 | MORGEN SITZUNG ABSAGEN || – 01:02-01:08
‚Weisst du, dass die morgige Sitzung abgesagt wurde?‘
Die Frage zielt also auch darauf ab, zu informieren oder sich rückzuversichern.
Eine Frage (Ergänzungsfrage oder Entscheidungsfrage) wird oft durch eine dieser drei Formulierungen eingeleitet.
(g)
jn-?
WAS IX-2 MÖGEN ESSEN SPAGHETTI links ODER REISrechts |
jn-?
IXrechts IXlinks || 00:05-00:11
‚Möchtest du Spaghetti oder Reis essen?‘
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