Kurze Sätze mit Verneinungen können folgendermassen aufgebaut sein: S-V, S-O-V oder S-V-O) (S: Subjekt, O: Objekt, V: Verb).
In kurzen Sätzen steht die Verneinung von einfachen Verben wie ‚SCHLAFEN‘, ‚ESSEN‘, ‚TRINKEN’ oder ‚WEINEN‘ in der Regel vor dem entsprechenden Verb. In dieser Position wird sie durch die verneinende Gebärde ‚NICHT‘ mit der Zeigefinger-Handform umgesetzt. Steht die Verneinung jedoch nach einem einfachen Verb, so wird sie in der Regel mit wiederholter Bewegung ausgeführt.
Dazu je ein Beispiel:
(a)
nmk: schütteln
MÄDCHEN IX-3 NICHT WEINEN IX-3 || 00:00-00:05
‘Das Mädchen weint nicht.’
In diesem Beispiel steht die Verneinung mit einmaliger Bewegung vor dem einfachen Verb ‚WEINEN‘.
(b)
nmk: schütteln
MÄDCHEN IX-3 WEINEN | NICHT++ || 00:19-00:22
‘Das Mädchen weint nicht.’
In Beispiel (b) folgt die Verneinung mit wiederholter Bewegung auf das einfache Verb ‚WEINEN‘.
Nicht korrekt wäre folgende Position der Verneinung:
(c)
nmk: schütteln
MÄDCHEN IX-3 WEINEN *NICHT || 00:33-00:35
‘Das Mädchen weint nicht.’
In diesem nicht korrekten Beispiel folgt die Verneinung mit einmaliger Bewegung auf das einfache Verb ‚WEINEN‘. Steht die Verneinung an dieser Stelle, so muss die Bewegung wiederholt werden. Damit wird sie gleichzeitig betont.
Zur Satzstellung der Verneinung folgen weitere Beispiele:
(d)
nmk: schütteln
AUTO IX-3 NICHT ROT IX-3 || 00:01-00:04
‘Das Auto ist nicht rot.’
Auf das Subjekt folgt die Verneinung mit einmaliger Bewegung und danach die Gebärde ‚ROT‘. Die Verneinung befindet sich innerhalb des Satzes.
(e)
nmk: schütteln
AUTO IX-3 ROT | NICHT++ || 00:19-00:22
‘Das Auto ist nicht rot.’
In diesem Beispiel steht die Verneinung am Schluss, sie wird mit wiederholter Bewegung ausgeführt.
Dieselbe Stellung (am Schluss) nimmt die Verneinung auch in einem Satzgefüge ein:
(f)
nmk: schütteln 1x nicken
AUTO IX-3 ROT NICHT++ | BLAU || 00:34-00:38
‘Das Auto ist nicht rot, sondern blau.’
In diesem Beispiel (f) geht es um eine ‚Gegenüberstellung‘ im Sinne von ‚nicht so, sondern so‘. Die Verneinung vor dem Komma, also innerhalb des Satzgefüges, wird mit einer einmaligen Bewegung ausgeführt.
Eine Verneinung mit einmaliger Bewegung wird innerhalb, eine Verneinung mit wiederholter Bewegung wird vor einem Komma oder am Satzende platziert.
Die Stellung der verneinenden lexikalisierten Gebärden (‚NICHT‘) im Satz hängt damit zusammen, ob diese mit einer einmaligen oder wiederholten Bewegung ausgeführt werden. Bei einer einmaligen Bewegung steht die Gebärde oft innerhalb eines Satzes. Wird die Bewegung wiederholt, so steht die Verneinung meist vor einem Komma oder Punkt, also vor Ende eines Abschnittes, Teilsatzes oder eines ganzen Satzes. Eine Verneinung mit wiederholter Bewegung kann jedoch auch am Satzanfang stehen, wird dann aber am Satzende wiederholt. Meist steht die Verneinung mit wiederholter Bewegung jedoch am Schluss.
Von den lexikalisierten Modalverben (siehe Kapitel 7) ‘MÜSSEN’, ‘DÜRFEN’, ‘KÖNNEN’, ‘WOLLEN’, ‘SOLLEN’ und ‘MÖCHTEN’ ist nur das Verb ‘KÖNNEN’ in der Lage, die Verneinung zu inkorporieren.
(a) MÜSSEN 00:08-00:09
‘muss’
(b) DÜRFEN 00:09-00:10
‘darf’
(c) KÖNNEN 00:10-00:11
‘kann’
(d) WOLLEN 00:12-00:14
‘will’
(e) SOLLEN 00:14-00:15
‘soll’
(f) MÖCHTEN 00:15-00:16
‘möchte’
Die inkorporierte Verneinung des Modalverbs ‘KÖNNEN’ sieht folgendermassen aus:
(c) KÖNNEN-NICHT 00:38-00:40
‘Ich kann nicht.’
Die inkorporierte Verneinung zeigt sich in der (einhändig oder zweihändig ausgeführten) α-Bewegung der Handform.
Die zusätzliche Gebärde ‘NICHT’ (gebildet mit der Zeigefinger-Handform oder der offenen Hand) ist nicht erforderlich, aber erlaubt:
2 Versionen: 1H:KANN-NICHT 00:51-00:53 , 2H:KANN-NICHT 00:53-00:55
‘Ich kann nicht.’
Alle anderen Modalverben benötigen für eine Verneinung zusätzlich die verneinende Gebärde (mit oder ohne Mundbild):
Eine noch nicht abgeschlossene oder noch nie ausgeführte Aktion / Handlung kommt einer Verneinung gleich. Dabei zeigt der Begriff ‘noch’, kombiniert mit ‘nicht’ oder ‘nie’ an, dass etwas bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht beendet wurde und lässt offen, ob es zu einem Abschluss kommen wird oder nicht.
In DSGS existiert die lexikalisierte Gebärde ‘NOCH’. Diese macht aber nur Sinn in Aussagen wie den folgenden:
Noch
(a)
ICH MÜSSEN NOCH KAUFEN++ || 00:41-00:48
‘Ich muss noch einkaufen gehen’.
(b)
ICH MÜSSEN NOCH LESEN || 00:49-00:50
‘Ich muss noch lesen.’
In den Beispielen (a) bis (c) weist die Gebärde ‘NOCH’ darauf hin, dass eine Handlung noch am Laufen ist (oder dass ein Vorhaben noch nicht begonnen hat).
Für eine ‘noch nicht’ abgeschlossene Handlung wird die Gebärde ‘NOCH’ jedoch weggelassen. Die Aussage ‘noch’ erscheint nur auf dem Mundbild, welches die Gebärde ‘NICHT’ begleitet:
Noch nicht
(d) NOCH-NICHT++ – 01:06-01:08
Auch für die Aussage ‘noch nie’ gilt, dass ‘noch’ nur auf dem Mundbild erscheint, welches die Gebärde ‘NIE’ begleitet:
Noch nie:
(f) NOCH-NIE – 01:09-01:10
‘NOCH-NICHT’ oder ‘NOCH-NIE’ zu gebärden wäre falsch, denn ‘noch’ und ‘nicht’ beziehungsweise ‘noch’ und ‘nie’ stehen inhaltlich in einem Widerspruch zueinander. In folgendem Beispiel wird die Aussage ‘NOCH-NICHT’ in nicht korrekter Weise gebärdet:
(a)
nmk: schütteln
BUCH IXa ICH *NOCH NICHT LESENa || – 00:04-00:08
‘Ich habe das Buch – noch – nicht – gelesen.’
Die Begriffe NOCH und NICHT gemeinsam zu benutzen, macht aus Sicht der DSGS keinen Sinn; die beiden Begriffe stehen in einem logischen Widerspruch zueinander: ‘NOCH’ deutet an, dass allenfalls beabsichtigt wird, das Buch zu lesen, ‹NICHT’ macht diese Aussage gleich wieder rückgängig.
(b)
IXa BUCH | ICH MÜSSEN NOCH LESENa || – 00:02-00:06
‘Ich muss das Buch noch lesen.’
Dazu ein Beispiel:
(c)
nmk: schütteln
BUCH IXa ICH NOCH-NICHT++ LESENa || – 00:00-00:04
‘Ich habe das Buch noch nicht gelesen.’
Die Grundform der lexikalisierten Gebärde ‘NIEMAND’ kann reduziert (abgeschwächt) werden, indem sie einhändig ausgeführt wird. Sie kann ebenfalls erweitert (verstärkt) werden. Die Gebärde ‘NIEMAND’ steht nicht alleine, sie ist an eine pronominale Referenz (siehe Kapitel 2) gebunden:
(a) NIEMAND IX-2pl WOLLEN 2HELFEN1 ||
‘Niemand von euch will mir helfen.’
‘NIEMAND’ bezieht sich in diesem Beispiel auf die 2. Person Plural. Wer mit ‘NIEMAND’ gemeint ist, wird also nur durch die pronominale Referenz klar.
(b) NIEMAND IX-3pl 3BESUCHEN1 ||
‘Niemand von ihnen besucht mich.’
In diesem Beispiel (b) bezieht sich ‘NIEMAND’ auf die 3. Person Plural. Auf wen sich ‘NIEMAND’ bezieht, wird auch hier nur durch die pronominale Referenz klar.
In einer Interaktionssituation muss ‘NIEMAND’ jedoch nicht zwingend an eine pronominale Referenz gebunden sein, sofern der Bezug vorher bereits hergestellt wurde:
(c)
nmk: jn?
A: (CD) IX-2 DA HELFEN PERSON++ IX-2(3) ||
nmk: kurz schütteln
B: IX-3 (CD): 1SAGEN NIEMAND ||
A: ‘Hast du Helfer:innen?’
B: ‘Nein, niemand.’ 00:45-00:48
Die Antwort bezieht sich in diesem Beispiel auf die ‘Helfer:innen’, dieser Bezug muss also nicht noch einmal explizit gemacht werden. Es wäre jedoch auch nicht falsch, dies zu tun, wie folgendes Beispiel zeigt:
(d)
nmk: schütteln jn?
B: (CD): NIEMAND IX-1pl 1plHELFEN1 | KÖNNEN IX-2 2HELFEN1 ||
B: ‘Nein, niemand von uns kann helfen. Kannst du uns helfen?’
Die Gebärde ‘NIEMAND’ kann also entweder alleine stehen, zusammen mit einer pronominalen Referenz oder sie kann von der Gebärde ‘PERSON’ (im Singular oder Plural) gefolgt werden. Zudem kann ‘NIEMAND’ mit der Verortung der Refererent:innen, auf welche Bezug genommen wird, verschmelzen, indem die Gebärde direkt an der Stelle der Verortung ausgeführt wird. Dazu ein Beispiel:
(e) NIEMAND-2pl
Diese Möglichkeit (e) wird nicht häufig benutzt.
Die Gebärden ‘NULL’ und ‘KEIN’ werden oft auch vom Mundbild ‘nichts’ begleitet:
(a) NULL mit Mundbild ‘nichts’ 00:19-00:20
(b) KEIN mit Mundbild ‘nichts’ 00:24
Die genaue Bedeutung, welche durch das Hinzufügen des Mundbildes ‘nichts’ entsteht, ergibt sich aus dem Inhalt der gesamten Aussage.
Die lexikalisierte Gebärde ‘KEIN’ sieht in ihrer Grundform (Grundform der manuellen und nichtmanuellen Komponenten) folgendermassen aus:
(a) KEIN
Eine Abschwächung dieser Verneinung wird dadurch realisiert, dass die Gebärde einhändig mit oder ohne Mundbild oder zweihändig ohne Mundbild ausgeführt wird:
(b) Abschwächung: einhändig mit Mundbild
Durch die Modifikation von Grösse und Stärke der Bewegung wird eine Verstärkung der Verneinung zum Ausdruck gebracht:
(d) Verstärkung: Bewegung
Eine Differenzierung der Verneinung wird immer an den Modifikationen der manuellen (und nichtmanuellen) Komponenten ersichtlich, also an der Abweichung von der nichtmodifizierten Grundform gemessen.
Ein weiteres Beispiel einer verneinenden lexikalisierten Gebärde ist die Gebärde ‘NULL’. Ihre Grundform sieht folgendermassen aus:
(a) NULL
Diese Gebärde kann mit oder ohne begleitendes Mundbild gebildet werden.
Die Grundform wird durch Modifikation der nichtmanuellen Komponenten erweitert (verstärkt) oder reduziert (abgeschwächt):
(b) Abschwächung von ‘NULL’
In diesem Beispiel wird die Gebärde nur einhändig ausgeführt, um die Verneinung abzuschwächen.
(c) Abschwächung von ‘NULL’
In diesem Beispiel wird die Gebärde mit einer leicht zittrigen Bewegung ausgeführt, um die Verneinung abzuschwächen.
(d) Verstärkung von ‘NULL’
In diesem Beispiel wird die Gebärde mit einer anderen Handform gebildet, um die Verneinung zu verstärken.
Durch die Modifikation der Bewegung kann die Gebärde ‘NULL’ und damit ihre Bedeutung variiert werden:
Es folgen einige Beispiele dazu, wie die Modifikation von Handform und Bewegung unterschiedliche Nuancen einer Verneinung hervorbringen können. In der gesprochenen Sprache kommen solche Nuancen durch die Modulation der Stimme und/oder durch verstärkende oder abschwächende Worte zum Ausdruck. In der geschriebenen Sprache durch Interpunktion, das Hinzufügen verstärkender oder abschwächender und das Hervorheben einzelner Worte.
(e)
nmk: schütteln
LEHRER IX NULL(2H: Hf-F) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || 00:00-00:08
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir nicht gesagt, dass ich aufräumen müsse!‘
(f)
nmk: leicht schütteln
LEHRER IX NULL(2H: Hf-F;zittrig) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || 00:09-00:16
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir nicht gesagt, dass ich aufräumen müsse.‘
(g)
nmk: leicht-schwach schütteln
LEHRER IX NULL(1H: Hf-F:zittrig) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || 00:17-00:22
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir nichts von aufräumen gesagt.‘
Die Verneinungen werden von Beispiel (e) bis hin zu Beispiel (g) zunehmend abgeschwächt formuliert.
In den folgenden zwei Beispielen (h) und (i) kommt die Verneinung im Vergleich zu Beispiel (e) um einiges vehementer zum Ausdruck:
(h)
nmk: schütteln
LEHRER IX NULL(2H: Hf-F-Gross) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || 00:23-00:27
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir gar nichts davon gesagt, dass ich aufräumen müsse!‘
(i)
nmk: 1x-schütteln
LEHRER IX NULL(2H: Hf-O-hart) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || 00:28-00:33
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir überhaupt gar nichts davon gesagt, dass ich aufräumen müsse!‘
Hier die aufgezeigten Verneinungen im Überblick:
Wird die hauptsächlich verwendete verneinende Gebärde, welche mit der Zeigefinger-Handform gebildet wird, nicht von einem Mundbild begleitet, so wird eine Aussage verneint. Ein begleitendes Mundbild differenziert dann die Bedeutung der Verneinung:
(a) ‘NIEMALS’ 00:23-00:24
(b) ‘VERBOTEN’ 00:31
(c) ‘NEIN’ (betont) 00:34-00:35
Die über das Mundbild zusätzlich vermittelten Informationen – wie in den Beispielen (a) bis (c) – müssen stets beachtet werden.
Die verneinende Gebärde mit der Zeigefinger-Handform wird häufiger benutzt. Wann anstelle der Zeigefinger-Handform, die offene Hand gebildet wird, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Wird zum Beispiel schnell gebärdet und die vorangehende Gebärde mit der offenen Hand gebildet, so kann diese Handform in der verneinenden Gebärde beibehalten werden; die vorangehende und nachfolgende Gebärde gehen fliessend ineinander über (Assimilation). Nachfolgend werden beide Möglichkeiten aufgeführt (der Inhalt der Aussagen ist derselbe):
(a) Verneinung mit Zeigefinger-Handform
nmk: schütteln
ICH DÜRFEN NICHT 1BESUCHEN2 || 00:32-00:35
‚Ich darf dich nicht besuchen.‘ / ‚Ich darf nicht dorthin gehen.‘
(b) Verneinung mit offener Hand
nmk: schütteln
ICH DÜRFEN NICHT(Hf-5) 1BESUCHEN2 || 00:42-00:44
‚Ich darf dich nicht besuchen.‘ / ‚Ich darf nicht dorthin gehen.‘
In Beispiel (b) werden die vorangehende Gebärde ‘DÜRFEN’ und die nachfolgende verneinende Gebärde mit derselben Handform gebildet.
Wird die verneinende Gebärde mit der offenen Hand ausgeführt, so kann dies auch bedeuten, dass die Verneinung betont wird, es sich also um eine klare Verneinung handelt (Verstärkung der Verneinung). Oder aber es wird damit zum Ausdruck gebracht, dass die Verneinung mit einer gewissen Vorsicht, mit Respekt gegenüber einer Person vorgebracht wird und noch Verhandlungsspielraum offenlässt.
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