Ortswechsel-Verben bezeichnen die Bewegung einer Person oder eines belebten oder unbelebten Objekts zwischen unterschiedlichen Orten (von-nach). Zusätzlich kann auch der grobe Verlauf dieser Bewegung vermittelt werden (‘wie’ von-nach?).
Pfad-Verben bezeichnen den Weg von einem Ausgangsort zu einem Zielort; sie funktionieren als eine Art Wegweiser/Pfeil (geradeaus, nach rechts, nach links, nach oben, nach unten).
Ortswechsel-Verben und Pfad-Verben werden entweder mit der Zeigefinger-Handform oder der B-Handform gebildet:
Handformen, verwendet in Ortswechsel-Verben und Pfad-Verben
Zeigefinger-Handform – B-Handform
Ortswechsel-Verben
Bei Ortswechsel-Verben sind die Fingerkuppen zu beachten. Sie zeigen eine imaginäre Linie an, die den Ausgangs- und Zielort miteinander verbinden.
Einige Beispiele zu den Ortswechsel-Verben (a-e):
(a)
dH: ICH ZÜRICH IXa aVON-BISb ST-GALLEN | ICH IX-ORTSW(a-b) || 00:38-00:44
ndh: IXa>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> ||
‘Ich pendle zwischen Zürich und St. Gallen’.
Die Wiederholung der Bewegung drückt aus, dass Hin- und Rückweg regelmässig zurückgelegt werden (‘pendeln’).
(b) BALL PROD-fortbewegen(Ball rollt) IX-ORTSW(Pfad+wie:hüpfen) || 00:50-00:54
‘Der Ball rollt vom Tisch und hüpft über den Boden’.
Mittels Bewegung wird hier veranschaulicht, wie sich der Ball fortbewegt (‘rollen’ und ‘hüpfen’).
(c) VOGEL FLIEGEN | IX-ORTSW(Pfad:a-b(nmk: ‘schnell’) || 00:56-00:58
‘Ein Vogel fliegt schnell vorbei’.
Bewegung und Mundform geben Auskunft zur Bewegungsgeschwindigkeit (‘schnell vorbeifliegen’).
(d) ICH BASEL ICH IXa 1GEHEN-DORTa || 01:29-01:31
‘Ich gehe nach Basel.’
Alle vier Fingerkuppen zeigen in Richtung Zielort, die Bewegung wird ebenfalls in diese Richtung ausgeführt.
(e) ICH UNIVERSITÄT IXa(mb: ‘diese’) ICH 1GEHEN-DORTa || 01.34-01:36
‘Ich gehe zu dieser Universität.’
Auch in diesem Beispiel orientieren sich Fingerkuppen und Bewegung in Richtung Zielort.
Pfad-Verben
Bei Pfad-Verben ist der ganze Zeigefinger oder die ganze Handfläche (B-Hand) zu beachten. Diese zeigen und bewegen sich wie ein Pfeil oder Wegweiser vom Ausgangsort in die Richtung des Zielortes und zeichnen somit einen imaginären Pfad nach.
Mit einem Pfad-Verb kann die Route von einem Ort zum anderen aufgezeigt werden wie in folgender Antwort auf die Frage nach dem Weg zum Supermarkt ‘Coop’:
(i)
dH: Geste(‘ah’) IXa PFADa->b IXb(dort) COOP ||
ndH: IXa (hier)>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> ||
‘Auf diesem Weg zu Coop gehen.’
Der Zeigefinger funktioniert hier als Pfeil, welcher zum Zielort hinführt. Alternativ kann die flache B-Handform benutzt werden:
Eine Tätigkeit, ein Geschehen, ein Vorgang oder ein Zustand kann abgeschlossen oder unvollendet sein, andauern, sich in unterschiedlichen Zeitabständen wiederholen usw. Dieser Zeit-Aspekt wird am einfachen Verb und am übereinstimmenden Verb markiert mittels Bewegungsausführung:
(a) ICH ARBEITEN++(nmk:‘viel’, ‘andauernd’) 00:17-00:19
‘Ich bin ununterbrochen am Arbeiten.’
Die mehrmalige Wiederholung des Verbs ‘ARBEITEN’, die auf der Zeitlinie nach vorne fortschreitende Bewegung und die Mimik weisen darauf hin, dass lange und ohne Unterbruch gearbeitet wird.
(b) IX-3 3FRAGEN1++++(nmk:‘missfallend’) || 00:39-00:42
‘Er/sie fragt mich andauernd.’
In diesem Beispiel (b) wird das Verb ‘FRAGEN’ mehrmals und schnell wiederholt. Die gebärdende Person wird also andauernd (in hoher Frequenz) gefragt. Mimisch wird Missfallen ausgedrückt.
(c) 3BESUCHEN1+++(nmk:‘ab-und-zu’) || 00:53-00:56
‘Er/sie kommt mich ab und zu besuchen.’
Dass eine Handlung in einer gewissen Regelmässigkeit, aber in grösseren Zeitabständen ausgeführt wird, zeigt sich an der Wiederholung und dem Tempo der Bewegung. Unterstrichen wird dies durch die Mundform und die Veränderung der Kopfhaltung.
Der Aspekt der Art und Weise (einer Tätigkeit, eines Geschehens, eines Vorgangs oder eines Zustands) wird am Verb markiert mittels Mimik, Bewegung und Ausführungsstelle.
Dazu einige Beispiele zur Art und Weise, wie eine Arbeit ausgeführt werden kann:
(a) ICH ARBEITEN(nmk: ‘gewöhnlich’) || 00:34–00:36
‘Ich bin (in gewohnter Art und Weise) am Arbeiten.’
Mundform ‹gewöhnlich›
Mundform und Bewegungsgeschwindigkeit drücken aus, dass die Arbeit in gewohnter Art und Weise ausgeführt wird, leicht von der Hand geht und in üblichem Tempo erledigt wird.
(b) ICH ARBEITEN(nmk: ‘stressig’) || 00:45–00:47
‘Ich erledige die anstrengende Arbeiten unter Stress.’
Mundform ’stressig’
In Beispiel (b) handelt es sich um eine anstrengende Arbeit, die Stress verursacht.
Das Zusammenbeissen der Zähne bei geöffneten Lippen drückt Anstrengung und Anspannung aus.
(c) ICH ARBEITEN(nmk: ‘lustlos’) 00:54–00:56
‘Ich verrichte die Arbeit lustlos.’
Mundform ‹lustlos’
Dass die Arbeit kein Vergnügen bereitet, lässt sich an der Mundform in Beispiel (c) erkennen.
(d) ICH ARBEITEN(nmk: ‘viel’) 01:05–01:27
‘Ich habe viel Arbeit.’
Mundform ‘viel’
Dass es sich um eine Menge Arbeit handelt, welche unter Zeitdruck ausgeführt wird, zeigen die aufgeblasenen Wangen und das Tempo, mit welchem die Gebärde ‘ARBEITEN’ ausgeführt wird.
(e) ICH ARBEITEN++(nmk:‘viel’) || 01:13–01:15
‘Ich habe immer wieder viel Arbeit.’
Mundform ‘viel’
Das mehrmalige Wiederholen des auf diese Weise ausgeführten Verbs bringt zum Ausdruck, dass regelmässig viel gearbeitet wird.
In Gebärdensprache ist es möglich, mehrere Informationen simultan zu übermitteln, da beide Hände gleichzeitig eingesetzt werden können:
(a) ZWEI PERSON PERSON dH:3a ndH:3b SCHAUEN1 || 00:12-00:14
‘Zwei Personen schauen sich an.’
(b) ZWEI PERSON PERSON BUCH dH:3a ndH:3b GEBEN:3b ndH:3a || 00:15-00:17
‘Zwei Personen tauschen ihre Bücher aus.’
In den Beispielen (a) und (b) wird dieselbe Handlung von zwei verschiedenen Referent:innen gleichzeitig und wechselseitig vollzogen. Die Verben (a) ‘SCHAUEN’ und (b) ‘GEBEN’ werden daher simultan und mit gespiegelter Bewegung ausgeführt.
Es können auch unterschiedliche Verben gleichzeitig produziert werden, wie folgendes Beispiel zeigt:
(c)
dH: ICH 1FRAGEN2 ||
ndH: 3aSCHAUEN1 >>>>>>>>>>>>>>>>>>> || 00:23-00:25
‘Während er/sie (A) mich anschaut, frage ich (B) ihn/sie.’
Das übereinstimmende Verb steht im Satz meist zwischen Subjekt und Objekt (S-V-O). Die Verortung des Objekts wird dabei bereits durch die Bewegungsausführung des Verbs vorweggenommen, das Ende der Bewegungsausführung ist mit dem Objekt identisch:
(a)
z.B. 1FRAGEN3
Weniger effizient sind Satzstellungen mit dem übereinstimmenden Verb am Schluss: S-O-V und O-S-V.
Beispiele: Alle drei Möglichkeiten S-V-O, S-O-V und O-S-V:
(b) S-V-O
ICH 1FRAGEN3a FRAU IX-3a || 00:41-00:43
‘Ich frage die Frau.’
(c) S-O-V
ICH FRAU IX-3a 1FRAGEN3a || 00:50-00:52
‘Ich frage die Frau.’
Diese Satzstellung ist weniger effizient als die erste, da sie eine zweimalige Bewegung erfordert (1.: Verortung ‘FRAU’ und 2.: übereinstimmendes Verb).
Ebenfalls mehr Zeit benötigt folgende Anordnung:
(d) O-S-V
FRAU IX-3a | ICH 1FRAGEN3a || 01:01-01:03
‘Ich frage die Frau.’
Durch eine solche Satzstellung wird das Objekt (‘die Frau’) betont (Topikalisierung) und zum zentralen Thema gemacht.
Es gibt einige wenige lexikalisierte Verben wie ‘KÜNDIGEN’ oder ‘MITTEILEN’, welche die Merkmale einfacher Verben und übereinstimmender Verben vereinen. Da es sich um körpergebundene Verben handelt, ist der Körper der gebärdenden Person (bei ‘KÜNDIGEN’ und ‘MITTEILEN’ die Nase beziehungsweise Stirn) zwingend Ausgangspunkt der Bewegung, auch wenn sie selbst nicht Subjekt ist:
(a) KÜNDIGEN 00:16-00:17
(b) MITTEILEN 00:18-00:19
Zu beiden Verben je ein Beispiel:
(c) POSS-1 CHEF KÜNDIGEN1 || 00:23-00:25
‘Mein/e Chef:in hat mir gekündigt.’
Subjekt ist in Beispiel (c) der/die Chef:in (‘ER’/‘SIE’), Objekt die gebärdende Person (‘ICH’). Dennoch ist die Nase der gebärdenden Person (‘ICH’) Ausgangspunkt des Verbs. Allerdings endet die Bewegung dann wieder beim Objekt (‘ICH’).
(d) IX-3 MITTEILEN3 00:41-00:43
‘Er/sie teilt ihr/ihm mit.’
In diesem Beispiel (d) ist die mitteilende Person Subjekt (‘ER’/‘SIE’), die empfangende ist Objekt (‘ER’/‘SIE’). Ausgangspunkt des Verbs ist die Stirn der gebärdenden Person, obwohl sie weder Subjekt noch Objekt ist.
Solche Mischformen aus einfachem und übereinstimmendem Verb sind jedoch die Ausnahme.
Alle übereinstimmenden Verben beinhalten Informationen zu grammatischer Person und Numerus (Singular und Plural). Person und Numerus werden durch die Parameter Bewegung, Handstellung und Ausführungsstelle flektiert. Anhand dieser Parameter wird ersichtlich, welche Personen wie miteinander interagieren.
(a) 1FRAGEN2 00:32-00:33
‘Ich frage dich.’
Die Frage der 1. Person Singular richtet sich an die 2. Person Singular. Daher verläuft auch die Bewegung des Verbs ‘FRAGEN’ von ‘ICH’ in Richtung ‘DU’.
(b) 1FRAGEN2pl 00:38-00:39
‘Ich frage euch.’
Die Frage der 1. Person Singular richtet sich an die 2. Person Plural. Die Bewegung des Verbs von ‘FRAGEN’ beginnt ebenfalls bei ‘ICH’, zeichnet dann aber einen Halbkreis von links nach rechts, um ‘EUCH’ auszudrücken.
(c) 1FRAGEN3++ 00:44-00:45
‘Ich frage ihn/sie unablässig.’
In diesem Beispiel (c) richten sich mehrere Fragen der 1. Person Singular an die 3. Person Singular. Die Bewegung beginnen jeweils beim ‘ICH’ und endet bei ‘ER/SIE’. Da unablässig gefragt wird, wird die Gebärde – und damit die Bewegung vom Subjekt zum Objekt – mehrmals wiederholt.
Im Gegensatz zu den multidirektionalen übereinstimmenden Verben ist es aus physiologischen Gründen nicht möglich, bei teilweise-direktionalen Verben eine Bewegung von der 1. Person (als Objekt) zur 2. Person oder 3. Person (als Subjekt) auszuführen:
(a) Nicht mögliche Übereinstimmung 00:16-00:18
Beispiele: Ausnahmen – Keine (*) umgekehrt teilweise-direktionale Verben
(b) *3AUSLEIHEN1 00:31
‘Er/sie leiht von mir aus.’
Da das Verb ‘AUSLEIHEN’ in dieser Konstellation nicht flektiert werden kann, müssen Subjekt und Objekt durch Indexieren angezeigt werden. Subjekt und Objekt müssen bei diesem Verb durch eigenständige Angaben identifiziert werden, z. B., indem man auf die für sie festgelegten räumlichen Bezugspunkte (Loki) zeigt:
(c) IX-3 POSS-1 BUCH AUSLEIHEN || 00:35-00:37
‘Er/sie leiht sich mein Buch aus.’
Das übereinstimmende Verb wird damit zum einfachen Verb.
Eine andere Möglichkeit ist die Rollenübernahme:
(d) IX-3a POSS-1 BUCH | AUSLEIHEN(Rolle IX-3a) || 00:41-00:43
‘Er/sie leiht sich mein Buch aus.’
Durch die Rollenübernahme (siehe Kapitel 11) und damit das Drehen des Oberkörpers ist es physiologisch möglich, die Bewegung aus der Perspektive der 3. Person (Subjekt) auszuführen.
Alle multidirektional übereinstimmenden Verben können für jede grammatische Person modifiziert werden. Bei einigen Verben mit teilweise-direktionaler Übereinstimmung wie z.B. ‘VERKAUFEN’, ‘FOLGEN’, ‘BEZAHLEN’ ist eine Richtungsumkehr in Richtung der ersten Person unmöglich, weil es physisch schwierig ist, diese Umkehrung zu erzeugen. Eine Bewegungsausführung von der 2. Person (als Subjekt) zur 1. Person (als Objekt) beziehungsweise von der 3. Person (als Subjekt) zur 1. Person (als Objekt) ist nicht möglich:
(a) Nicht mögliche Übereinstimmung 00:36-00:40
Beispiele: Teilweise-direktionale Verben, bei denen eine Richtungsumkehr nicht möglich (=*) ist:
(b) *3BEZAHLEN1 00:42-00:43
‘Er/sie bezahlt mir.’
(c) *3FOLGEN1 00:45-00:46
‘Er/sie folgt mir.’
(d) *3VERKAUFEN1 01:00-01:01
‘Er/sie verkauft mir.’
Möglich sind also nur die folgenden Übereinstimmungen:
(e) Mögliche Übereinstimmung 00:49-00:56
Bei Verben wie ‘EINLADEN’, ‘ABHOLEN’ oder ‘AUSWÄHLEN’ erfolgt die Markierung von Subjekt und Objekt genau umgekehrt. Ausgangspunkt des Verbs ist das Objekt, Endpunkt das Subjekt, wie auch folgende Beispiele zeigen:
(a) 3EINLADEN1 00:28-00:29
‘Ich lade ihn/sie ein.’
(b) 3aAUSWÄHLEN3b 00:54-00:55
‘Er /sie wählt ihn/sie.’
(c) 1KOPIEREN2 00:56-00:57
‘Du kopierst mich.’
Umgekehrt übereinstimmende Verben können ebenfalls in alle Richtungen ausgeführt werden, sind also ebenfalls für jede Person flektierbar.
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