Im Gegensatz zur substitutiven Technik, bei der die Hand für ein Objekt steht, steht die Hand bei der manipulativen Technik dafür, wie ein Objekt gehalten oder benutzt wird. Die Handform und die Handstellung vermitteln Informationen zu Form und Grösse des Objektes.
Dazu unterschiedliche Beispiele:
(a) Manipulator für Objekte, welche mit Daumen und Fingern umschlossen werden 00:20-00:22
Das Beispiel (a) zeigt, wie ein Trinkglas gehalten und zum Mund geführt wird. Dieselbe Manipulator-Form wird für die Handhabung von weiteren zylinderförmigen Hohlgefässen wie Flaschen, Büchsen oder Rohren mit ähnlich grossem Durchmesser benutzt.
(b) Manipulator für Objekte, welche mit dem Pinzettengriff gehalten werden 00:36-00:37
In diesem Beispiel (b) wird der Henkel einer Tasse mit Daumen und Zeigefinger gehalten und zum Mund geführt.
Dieselbe Manipulator-Form wird auch für die Handhabung anderer dünner, schmaler Objekte wie für den Stiel einer Blume oder einen Nagel benutzt: 00:43-00:47
(c) Manipulator für Objekte, welche in der Hand liegen, mit Zeigefinger und Daumen gehalten und von Mittel-, Ring- und kleinem Finger umschlossen werden
In ersten Beispiel wird ein Hammer gehalten und damit ein Nagel eingeschlagen. Derselbe Manipulator wird für das Halten und Handhaben eines Schlüssels benutzt, wie das zweite Beispiel zeigt.
(d) Manipulator für Objekte, welche mit der Faust umschlossen werden 00:55-00:56
Der Manipulator in diesem Beispiel (d) gibt wieder, wie ein Türgriff gehalten und gehandhabt wird.
Wie die Beispiele zeigen, passen sich die vier Parameter, insbesondere Handform und Handstellung, also stets der Form, den Ausmassen und dem Volumen eines Objektes an: 01:09-01:20
Eine produktive Form, die sich aus der Substitutor-Technik ergibt, verwendet die ganze Hand oder einen Teil der Hand, um für ein belebtes oder unbelebtes Objekt zu stehen. Dazu wird eine Klassifikator-Handform verwendet, die eine Klasse von Objekten mit ähnlicher Form oder ähnlichem Formaspekt darstellt. Diese Substitutor-Formen können die Position, die Lage und die Bewegung des zu vertretenden Objektes darstellen. Auf eine im Gebärdenraum verortete produktive Form kann im weiteren Verlauf einer Aussage wieder referenziert werden.
Nachfolgend einige Beispiele unterschiedlicher produktiver Formen, in der die Hand ein Ersatz/eine Substitution für ein Objekt ist:
(a) Produktive Form mit der Substitutor-Handform für grosse Fahrzeuge 00:12-00:14
Durch dieselbe substitutive Technik werden auch Objekte wie ein ‘Schiff’ oder die ‘Bahn’ vertreten. Die Produktivform gibt nicht an, um welches dieser grossen Fahrzeuge es sich handelt. Dies ergibt sich erst aus dem Kontext beziehungsweise aus dem/der zuvor im Satz eingeführten Referent:in, für die die produktive Form Ersatz ist.
Ein Substitutor orientiert sich immer an der Form eines Objektes. Im Falle eines stehenden Autos wird die flache, nach unten zeigende Hand als Ersatz benutzt, da es sich um ein Objekt mit grosser Auflagefläche handelt, dessen Länge grösser ist als die Höhe.
(b) ‘SCHIFF’, ‘BAHN’ 00:38-00:46
Ein im Regal stehendes Buch zeichnet sich durch eine andere Form und durch andere Dimensionen aus. Seine Substitutor-Form nutzt die gleiche Handform wie der Substitutor für ‘AUTO’, die Handstellung ist jedoch eine andere, da es auf einer schmalen, kurzen Auflagefläche im Regal steht:
(c) Produktive Form mit Hand als Substitutor für ‘ein Buch, das in einem Bücherregal steht’ 00:51-00:56
Aus der gleichen Handform und wiederum aus einer anderen Handstellung setzt sich der Substitutor für Fahrrad zusammen:
(d) Produktive Form mit Hand als Substitutor für ein ‘Fahrrad’ 00:57-00:58
Während die B-Handform mit Handfläche nach unten | u.a. vierrädrige Fahrzeuge substituiert (grosse Auflagefläche), wird sie für die Substitution eines Fahrrades oder eines anderen zweirädrigen Fahrzeugs nach rechts gekippt ~ (schmale, lange Auflagefläche).
Dass sich Handform und Handstellung eines Substitutors der Form des zu vertretenden Objekts anpassen, zeigen auch folgende Beispiele für andere Objekte:
(e) Substitutor für einen ‘Menschen’ 01:08-01:11
Zeigefinger und Mittelfinger stehen hier für die Beine einer Person. Dieser Substitutor für Personen ist geschlechtsneutral.
(f) Substitutor für ein ‘Bein’ 01:19-01:24
Die Zeigefinger beider Hände stehen hier stellvertretend für je ein Bein.
(g) Substitutor für ein grosses Objekte (wie ein ‘Haus’) 01:25-01:32
(h) Substitutor für ein einzelnes, langes vertikales Objekt (wie ein ‘Baum’ / eine ‘Person’) 01:34-01:39
Produktive Verbformen werden durch die Anwendung der folgenden verschiedenen Bilderzeugungstechniken gebildet: substitutive, manipulative, massanzeigende, skizzierende, stempelnde und indizierende Technik. Obwohl diese Bilderzeugungstechniken nicht nur für Verbformen verwendet werden, werden sie hier alle beschrieben.
Mit einer produktiven Verbform können Aspekte von Referent:innen (Form, Position, Orientierung, Bewegung, Handhabung) oder ihre Aktionen so realitätsnah wie möglich beschrieben werden. Was genau auf diese Weise beschrieben wird, hängt vom Kontext ab, davon, worauf der/die Gebärdende den Fokus legen will. Produktive Verbformen haben also keine einheitliche Grundform (wie etwa die Gebärden ‘APFEL’ oder ‘ARBEITEN’); die Form und die Bedeutung ist kontextabhängig.
Daher werden diese Formen hier glossiert, indem sie als produktiv (PROD) bezeichnet werden und die Informationen, die in ihrer Verwendung in einem bestimmten Kontext enthalten sind, nachher und in einem Subskript vermerkt werden (z.B. PROD-stehen(Auto)a ).
Ein Modalverb unterstützt ein Hauptverb (z. B. ‘ARBEITEN’, ‘LESEN’, ‘KAUFEN’).
Die Satzstruktur, die Reihenfolge der Gebärden in einem Satz mit einem Modalverb (ModV), sieht folgendermassen aus: Falls es kein Objekt gibt, ist das Modalverb üblicherweise direkt vor dem Hauptverb positioniert: S-ModV-V. Wenn ein Objekt vorhanden ist, wird das Modalverb vor das Objekt gesetzt: S-ModV-O-V.
Ein Beispiel ohne Objekt (S-ModV-V):
(a) ICH MÜSSEN ARBEITEN || 00.31-00:33
‘Ich muss arbeiten.’
Ein Beispiel mit Objekt (S-ModV-O-V):
(b) ICH MÜSSEN BROT KAUFEN || 00.41-00:44
‘Ich muss Brot kaufen.’
Am Ende des Satzes wird das Modalverb oft wiederholt, was vermutlich in den meisten Fällen die Funktion hat, eine Betonung hinzuzufügen:
(c) ) ICH MÜSSEN BROT KAUFEN | MÜSSEN || 01.05-01.09
‘Ich muss (!) Brot kaufen.
Die Negationsform eines Modalverbs wird auf verschiedene Arten ausgedrückt. Das Modalverb ‘KÖNNEN’ wird ohne zusätzliche Gebärde verneint, indem die s-Handform eine (α)-Bewegung ausführt. Dies kann sowohl einhändig wie auch zweihändig erfolgen:
(a) 2 Versionen: 1H:KANN-NICHT 2H:KANN-NICHT 00:15-00:18
‘Ich kann nicht.’
Die restlichen Modalverben benötigen zusätzlich eine der folgenden Gebärden für die Verneinung (einige werden mit, andere ohne Mundbild ausgeführt):
NICHT | NICHT(Hf-B/5) | NICHT++ | NICHT(Hf-B/5)++ 00:28-00:32
Modalverben sind meistens unterstützende Hilfsverben. Sie drücken einen Wunsch, einen Willen, eine Absicht, eine Möglichkeit, eine Pflicht oder einen Zwang aus. Modalverben stehen in der Regel in Kombination mit einem anderen Verb, um dessen Bedeutung zu präzisieren oder zu verändern.
Die DSGS kennt folgende lexikalisierte Modalverben:
(a) MÜSSEN 00:17
‘muss’
(b) KÖNNEN 00:19
‘kann’
(c) DÜRFEN 00:21-00:22
‘darf’
(d) WOLLEN (3 Varianten) 00:26-00:29
‘will’
(e) SOLLEN 00:31-00:32
‘soll’
(f) MÖCHTEN 00:34-00:35
‘möchte’
‘Möchten’ wird oft ohne, kann aber auch mit Mundbild gebärdet werden:
(g) MÖCHTEN ohne und mit Mundbild 00:38-o0:41
‘möchte’
Bei den restlichen Modalverben ist ein begleitendes Mundbild in der Regel obligatorisch. Es steht meistens in der 1. Person Singular. In einem Satz zum Beispiel, der «wir alle können» bedeutet, lautet das begleitende Mundbild ‘darf’.
Ortswechsel-Verben bezeichnen die Bewegung einer Person oder eines belebten oder unbelebten Objekts zwischen unterschiedlichen Orten (von-nach). Zusätzlich kann auch der grobe Verlauf dieser Bewegung vermittelt werden (‘wie’ von-nach?).
Pfad-Verben bezeichnen den Weg von einem Ausgangsort zu einem Zielort; sie funktionieren als eine Art Wegweiser/Pfeil (geradeaus, nach rechts, nach links, nach oben, nach unten).
Ortswechsel-Verben und Pfad-Verben werden entweder mit der Zeigefinger-Handform oder der B-Handform gebildet:
Handformen, verwendet in Ortswechsel-Verben und Pfad-Verben
Zeigefinger-Handform – B-Handform
Ortswechsel-Verben
Bei Ortswechsel-Verben sind die Fingerkuppen zu beachten. Sie zeigen eine imaginäre Linie an, die den Ausgangs- und Zielort miteinander verbinden.
Einige Beispiele zu den Ortswechsel-Verben (a-e):
(a)
dH: ICH ZÜRICH IXa aVON-BISb ST-GALLEN | ICH IX-ORTSW(a-b) || 00:38-00:44
ndh: IXa>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> ||
‘Ich pendle zwischen Zürich und St. Gallen’.
Die Wiederholung der Bewegung drückt aus, dass Hin- und Rückweg regelmässig zurückgelegt werden (‘pendeln’).
(b) BALL PROD-fortbewegen(Ball rollt) IX-ORTSW(Pfad+wie:hüpfen) || 00:50-00:54
‘Der Ball rollt vom Tisch und hüpft über den Boden’.
Mittels Bewegung wird hier veranschaulicht, wie sich der Ball fortbewegt (‘rollen’ und ‘hüpfen’).
(c) VOGEL FLIEGEN | IX-ORTSW(Pfad:a-b(nmk: ‘schnell’) || 00:56-00:58
‘Ein Vogel fliegt schnell vorbei’.
Bewegung und Mundform geben Auskunft zur Bewegungsgeschwindigkeit (‘schnell vorbeifliegen’).
(d) ICH BASEL ICH IXa 1GEHEN-DORTa || 01:29-01:31
‘Ich gehe nach Basel.’
Alle vier Fingerkuppen zeigen in Richtung Zielort, die Bewegung wird ebenfalls in diese Richtung ausgeführt.
(e) ICH UNIVERSITÄT IXa(mb: ‘diese’) ICH 1GEHEN-DORTa || 01.34-01:36
‘Ich gehe zu dieser Universität.’
Auch in diesem Beispiel orientieren sich Fingerkuppen und Bewegung in Richtung Zielort.
Pfad-Verben
Bei Pfad-Verben ist der ganze Zeigefinger oder die ganze Handfläche (B-Hand) zu beachten. Diese zeigen und bewegen sich wie ein Pfeil oder Wegweiser vom Ausgangsort in die Richtung des Zielortes und zeichnen somit einen imaginären Pfad nach.
Mit einem Pfad-Verb kann die Route von einem Ort zum anderen aufgezeigt werden wie in folgender Antwort auf die Frage nach dem Weg zum Supermarkt ‘Coop’:
(i)
dH: Geste(‘ah’) IXa PFADa->b IXb(dort) COOP ||
ndH: IXa (hier)>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> ||
‘Auf diesem Weg zu Coop gehen.’
Der Zeigefinger funktioniert hier als Pfeil, welcher zum Zielort hinführt. Alternativ kann die flache B-Handform benutzt werden:
Eine Tätigkeit, ein Geschehen, ein Vorgang oder ein Zustand kann abgeschlossen oder unvollendet sein, andauern, sich in unterschiedlichen Zeitabständen wiederholen usw. Dieser Zeit-Aspekt wird am einfachen Verb und am übereinstimmenden Verb markiert mittels Bewegungsausführung:
(a) ICH ARBEITEN++(nmk:‘viel’, ‘andauernd’) 00:17-00:19
‘Ich bin ununterbrochen am Arbeiten.’
Die mehrmalige Wiederholung des Verbs ‘ARBEITEN’, die auf der Zeitlinie nach vorne fortschreitende Bewegung und die Mimik weisen darauf hin, dass lange und ohne Unterbruch gearbeitet wird.
(b) IX-3 3FRAGEN1++++(nmk:‘missfallend’) || 00:39-00:42
‘Er/sie fragt mich andauernd.’
In diesem Beispiel (b) wird das Verb ‘FRAGEN’ mehrmals und schnell wiederholt. Die gebärdende Person wird also andauernd (in hoher Frequenz) gefragt. Mimisch wird Missfallen ausgedrückt.
(c) 3BESUCHEN1+++(nmk:‘ab-und-zu’) || 00:53-00:56
‘Er/sie kommt mich ab und zu besuchen.’
Dass eine Handlung in einer gewissen Regelmässigkeit, aber in grösseren Zeitabständen ausgeführt wird, zeigt sich an der Wiederholung und dem Tempo der Bewegung. Unterstrichen wird dies durch die Mundform und die Veränderung der Kopfhaltung.
Der Aspekt der Art und Weise (einer Tätigkeit, eines Geschehens, eines Vorgangs oder eines Zustands) wird am Verb markiert mittels Mimik, Bewegung und Ausführungsstelle.
Dazu einige Beispiele zur Art und Weise, wie eine Arbeit ausgeführt werden kann:
(a) ICH ARBEITEN(nmk: ‘gewöhnlich’) || 00:34–00:36
‘Ich bin (in gewohnter Art und Weise) am Arbeiten.’
Mundform ‚gewöhnlich‘
Mundform und Bewegungsgeschwindigkeit drücken aus, dass die Arbeit in gewohnter Art und Weise ausgeführt wird, leicht von der Hand geht und in üblichem Tempo erledigt wird.
(b) ICH ARBEITEN(nmk: ‘stressig’) || 00:45–00:47
‘Ich erledige die anstrengende Arbeiten unter Stress.’
Mundform ’stressig’
In Beispiel (b) handelt es sich um eine anstrengende Arbeit, die Stress verursacht.
Das Zusammenbeissen der Zähne bei geöffneten Lippen drückt Anstrengung und Anspannung aus.
(c) ICH ARBEITEN(nmk: ‘lustlos’) 00:54–00:56
‘Ich verrichte die Arbeit lustlos.’
Mundform ‚lustlos’
Dass die Arbeit kein Vergnügen bereitet, lässt sich an der Mundform in Beispiel (c) erkennen.
(d) ICH ARBEITEN(nmk: ‘viel’) 01:05–01:27
‘Ich habe viel Arbeit.’
Mundform ‘viel’
Dass es sich um eine Menge Arbeit handelt, welche unter Zeitdruck ausgeführt wird, zeigen die aufgeblasenen Wangen und das Tempo, mit welchem die Gebärde ‘ARBEITEN’ ausgeführt wird.
(e) ICH ARBEITEN++(nmk:‘viel’) || 01:13–01:15
‘Ich habe immer wieder viel Arbeit.’
Mundform ‘viel’
Das mehrmalige Wiederholen des auf diese Weise ausgeführten Verbs bringt zum Ausdruck, dass regelmässig viel gearbeitet wird.
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