Mit einer Verneinung beziehungsweise Negation wird ausgedrückt, dass etwas nicht existiert, nicht passiert, nicht der Fall ist. In DSGS gibt es dazu zahlreiche lexikalisierte Gebärden. Einige Beispiele:
(a) ‚KEIN‘ – 00:16-00:17
(b) ‚NIE‘ – 00:17-00:18
(c) ‚NULL‘ – 00:19-00:20
(d) ‚NICHT‘ – 00:20-00:21
Die manuellen Komponenten (Handform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung) und die nichtmanuellen Komponenten dieser lexikalisierten Gebärden haben eine klar definierte Grundform. Um eine Verneinung zu differenzieren, weichen die manuellen und nichtmanuellen Komponenten von ihrer Grundform ab, sie werden modifiziert.
Die folgenden lexikalisierten verneinenden Gebärden sind in ihrer „regulären“ Form dargestellt. Dies bedeutet, dass sie sich aus den Grundformen ihrer manuellen Komponenten zusammensetzen, die manuellen Komponenten also nicht modifiziert sind:
(a) ‚NIE‘ – 00:05-00:06
(b) ‚KEIN‘ – 00:06-00:07
(c) ‚NULL‘ – 00:07-00:08
Die Differenzierung einer verneinenden Gebärde (Verstärkung oder Abschwächung der Verneinung) ergibt sich stets aus der Modifikation der manuellen Komponenten und damit aus der Abweichung der manuellen Komponenten von ihren Grundformen. Die Grundform ist die Bezugsgrösse, an welcher die Abweichung beziehungsweise die Differenzierung der Verneinung gemessen wird.
In der gesprochenen Sprache wird eine Verneinung durch die Modulation der Stimme und/oder durch das Hinzufügen verstärkender oder abschwächender Worte differenziert. In der geschriebenen Sprache geschieht dies durch das Hinzufügen verstärkender oder abschwächender Worte sowie durch Interpunktion und Hervorheben einzelner Worte.
Differenzierungen von verneinenden Gebärden werden grösstenteils durch Modifikationen der Bewegung realisiert. Eine weitere Möglichkeit ist es, eine einhändige Gebärde mit beiden Händen beziehungsweise eine zweihändige Gebärde nur mit einer Hand auszuführen.
Im ersten Fall wird die Grundform erweitert, die Verneinung dadurch verstärkt. Im zweiten Fall wird die Grundform reduziert, die Verneinung also abgeschwächt.
Sowie die manuellen Komponenten haben auch die nichtmanuellen Komponenten verneinender Gebärden eine feste Grundform. Die Grundform der nichtmanuellen Komponente Kopf besteht aus Kopfschütteln:
(a) Kopfschütteln – 00:12-00:14
Auch die Modifikation einer nichtmanuellen Komponente führt dazu, dass eine Verneinung verstärkt oder abgeschwächt wird. Der Oberkörper wird meist nach hinten, kann aber auch nach vorne geneigt werden. Das Schütteln des Kopfes erfolgt in der Position des Oberkörpers.
Die Art und Weise, die Dynamik des Kopfschüttelns kann je nach Differenzierung der Verneinung sehr unterschiedlich ausfallen (dezente, kräftige, kleine, grosse, einmalige, mehrmalige Bewegung etc.), wie folgende Beispiele zeigen:
(b) – 00:44-00:50
Auch Mundbilder und Mundformen sind bei einer Verneinung zu beachten. Sie können ebenfalls modifiziert werden und geben damit über die Art der Verneinung Auskunft.
In DSGS existieren mehrere verneinende Gebärden. Insbesondere benutzt werden die zwei folgenden lexikalisierten Gebärden ‚NICHT‘. Beide Gebärden haben dieselbe Funktion der Verneinung, werden aber mit unterschiedlichen Handformen (Grundformen) gebildet (Zeigefinger-Handform oder offene Hand ):
Die Bewegung dieser zwei am häufigsten gebrauchten verneinenden Gebärden kann einmal oder mehrmals erfolgen. Eine einmalige Bewegung wird in der Regel ausgeführt, wenn die Verneinung innerhalb eines Satzes steht. Eine mehrmalige Bewegung steht in der Regel am Satzende, am Satzanfang oder sowohl als auch. Dazu je ein Beispiel:
(c) Verneinung innerhalb eines Satzes:
nmk: schütteln
GESTERN ICH KATZE NICHT SEHEN ICH || – Video – 00:01-00:04
‚Ich habe die Katze gestern nicht gesehen.‘
(d) Verneinung am Satzende:
nmk: schütteln
GESTERN ICH KATZE SEHEN | ICH NICHT++ || – 00:00-00:04
‚Ich habe die Katze gestern nicht gesehen.‘
Die Verneinung kann differenziert werden (verstärkt oder abgeschwächt) durch die Modifikation der Bewegung von Hand und Kopf (schnell, langsam, hart, weich etc.) und der Ausführungsstelle (unterschiedliche Nähe zum Körper):
(a) Modifikation von MK und NMK zur Abschwächung einer Verneinung:
(b) Modifikation von MK und NMK zur Verstärkung einer Verneinung:
Die Grundformen der manuellen und nichtmanuellen Komponenten sind hier also die Bezugsgrösse, an welcher die Verstärkung oder Abschwächung der Verneinung gemessen wird.
Die verneinende Gebärde mit der Zeigefinger-Handform wird häufiger benutzt. Wann anstelle der Zeigefinger-Handform, die offene Hand gebildet wird, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Wird zum Beispiel schnell gebärdet und die vorangehende Gebärde mit der offenen Hand gebildet, so kann diese Handform in der verneinenden Gebärde beibehalten werden; die vorangehende und nachfolgende Gebärde gehen fliessend ineinander über (Assimilation). Nachfolgend werden beide Möglichkeiten aufgeführt (der Inhalt der Aussagen ist derselbe):
(a) Verneinung mit Zeigefinger-Handform
nmk: schütteln
ICH DÜRFEN NICHT 1BESUCHEN2 || – 00:32-00:35
‚Ich darf dich nicht besuchen.‘ / ‚Ich darf nicht dorthin gehen.‘
(b) Verneinung mit offener Hand
nmk: schütteln
ICH DÜRFEN NICHT(Hf-5) 1BESUCHEN2 || – 00:42-00:44
‚Ich darf dich nicht besuchen.‘ / ‚Ich darf nicht dorthin gehen.‘
In Beispiel (b) werden die vorangehende Gebärde ‘DÜRFEN’ und die nachfolgende verneinende Gebärde mit derselben Handform gebildet.
Wird die verneinende Gebärde mit der offenen Hand ausgeführt, so kann dies auch bedeuten, dass die Verneinung betont wird, es sich also um eine klare Verneinung handelt (Verstärkung der Verneinung). Oder aber es wird damit zum Ausdruck gebracht, dass die Verneinung mit einer gewissen Vorsicht, mit Respekt gegenüber einer Person vorgebracht wird und noch Verhandlungsspielraum offenlässt.
Wird die hauptsächlich verwendete verneinende Gebärde, welche mit der Zeigefinger-Handform gebildet wird, nicht von einem Mundbild begleitet, so wird eine Aussage verneint. Ein begleitendes Mundbild differenziert dann die Bedeutung der Verneinung:
(a) ‘NIEMALS’ – 00:23-00:24
(b) ‘VERBOTEN’ – 00:31
(c) ‘NEIN’ (betont) – 00:34-00:35
Die über das Mundbild zusätzlich vermittelten Informationen – wie in den Beispielen (a) bis (c) – müssen stets beachtet werden.
Ein weiteres Beispiel einer verneinenden lexikalisierten Gebärde ist die Gebärde ‘NULL’. Ihre Grundform sieht folgendermassen aus:
(a) NULL
Diese Gebärde kann mit oder ohne begleitendes Mundbild gebildet werden.
Die Grundform wird durch Modifikation der nichtmanuellen Komponenten erweitert (verstärkt) oder reduziert (abgeschwächt):
(b) Abschwächung von ‘NULL’
In diesem Beispiel wird die Gebärde nur einhändig ausgeführt, um die Verneinung abzuschwächen.
(c) Abschwächung von ‘NULL’
In diesem Beispiel wird die Gebärde mit einer leicht zittrigen Bewegung ausgeführt, um die Verneinung abzuschwächen.
(d) Verstärkung von ‘NULL’
In diesem Beispiel wird die Gebärde mit einer anderen Handform gebildet, um die Verneinung zu verstärken.
Durch die Modifikation der Bewegung kann die Gebärde ‘NULL’ und damit ihre Bedeutung variiert werden:
Es folgen einige Beispiele dazu, wie die Modifikation von Handform und Bewegung unterschiedliche Nuancen einer Verneinung hervorbringen können. In der gesprochenen Sprache kommen solche Nuancen durch die Modulation der Stimme und/oder durch verstärkende oder abschwächende Worte zum Ausdruck. In der geschriebenen Sprache durch Interpunktion, das Hinzufügen verstärkender oder abschwächender und das Hervorheben einzelner Worte.
(e)
nmk: schütteln
LEHRER IX NULL(2H: Hf-F) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || – 00:00-00:08
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir nicht gesagt, dass ich aufräumen müsse!‘
(f)
nmk: leicht schütteln
LEHRER IX NULL(2H: Hf-F;zittrig) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || – 00:09-00:16
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir nicht gesagt, dass ich aufräumen müsse.‘
(g)
nmk: leicht-schwach schütteln
LEHRER IX NULL(1H: Hf-F:zittrig) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || – 00:17-00:22
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir nichts von aufräumen gesagt.‘
Die Verneinungen werden von Beispiel (e) bis hin zu Beispiel (g) zunehmend abgeschwächt formuliert.
In den folgenden zwei Beispielen (h) und (i) kommt die Verneinung im Vergleich zu Beispiel (e) um einiges vehementer zum Ausdruck:
(h)
nmk: schütteln
LEHRER IX NULL(2H: Hf-F-Gross) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || – 00:23-00:27
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir gar nichts davon gesagt, dass ich aufräumen müsse!‘
(i)
nmk: 1x-schütteln
LEHRER IX NULL(2H: Hf-O-hart) 3SAGEN1 | ICH MÜSSEN AUFRÄUMEN || – Video – 00:28-00:33
‚Der Lehrer / die Lehrerin hat mir überhaupt gar nichts davon gesagt, dass ich aufräumen müsse!‘
Hier die aufgezeigten Verneinungen im Überblick:
Die lexikalisierte Gebärde ‘KEIN’ sieht in ihrer Grundform (Grundform der manuellen und nichtmanuellen Komponenten) folgendermassen aus:
(a) KEIN
Eine Abschwächung dieser Verneinung wird dadurch realisiert, dass die Gebärde einhändig mit oder ohne Mundbild oder zweihändig ohne Mundbild ausgeführt wird:
(b) Abschwächung: einhändig mit Mundbild
Durch die Modifikation von Grösse und Stärke der Bewegung wird eine Verstärkung der Verneinung zum Ausdruck gebracht:
(d) Verstärkung: Bewegung
Eine Differenzierung der Verneinung wird immer an den Modifikationen der manuellen (und nichtmanuellen) Komponenten ersichtlich, also an der Abweichung von der nichtmodifizierten Grundform gemessen.
Die Gebärden ‘NULL’ und ‘KEIN’ werden oft auch vom Mundbild ‘nichts’ begleitet:
(a) NULL mit Mundbild ‘nichts’ – 00:19-00:20
(b) KEIN mit Mundbild ‘nichts’ – 00:24
Die genaue Bedeutung, welche durch das Hinzufügen des Mundbildes ‘nichts’ entsteht, ergibt sich aus dem Inhalt der gesamten Aussage.
Die Grundform der lexikalisierten Gebärde ‘NIEMAND’ kann reduziert (abgeschwächt) werden, indem sie einhändig ausgeführt wird. Sie kann ebenfalls erweitert (verstärkt) werden. Die Gebärde ‘NIEMAND’ steht nicht alleine, sie ist an eine pronominale Referenz (siehe Kapitel 2) gebunden:
(a) NIEMAND IX-2pl WOLLEN 2HELFEN1 ||
‘Niemand von euch will mir helfen.’
‘NIEMAND’ bezieht sich in diesem Beispiel auf die 2. Person Plural. Wer mit ‘NIEMAND’ gemeint ist, wird also nur durch die pronominale Referenz klar.
(b) NIEMAND IX-3pl 3BESUCHEN1 ||
‘Niemand von ihnen besucht mich.’
In diesem Beispiel (b) bezieht sich ‘NIEMAND’ auf die 3. Person Plural. Auf wen sich ‘NIEMAND’ bezieht, wird auch hier nur durch die pronominale Referenz klar.
In einer Interaktionssituation muss ‘NIEMAND’ jedoch nicht zwingend an eine pronominale Referenz gebunden sein, sofern der Bezug vorher bereits hergestellt wurde:
(c)
nmk: jn?
A: (CD) IX-2 DA HELFEN PERSON++ IX-2(3) ||
nmk: kurz schütteln
B: IX-3 (CD): 1SAGEN NIEMAND ||
A: ‘Hast du Helfer:innen?’
B: ‘Nein, niemand.’ – 00:45-00:48
Die Antwort bezieht sich in diesem Beispiel auf die ‘Helfer:innen’, dieser Bezug muss also nicht noch einmal explizit gemacht werden. Es wäre jedoch auch nicht falsch, dies zu tun, wie folgendes Beispiel zeigt:
(d)
nmk: schütteln jn?
B: (CD): NIEMAND IX-1pl 1plHELFEN1 | KÖNNEN IX-2 2HELFEN1 ||
B: ‘Nein, niemand von uns kann helfen. Kannst du uns helfen?’
Die Gebärde ‘NIEMAND’ kann also entweder alleine stehen, zusammen mit einer pronominalen Referenz oder sie kann von der Gebärde ‘PERSON’ (im Singular oder Plural) gefolgt werden. Zudem kann ‘NIEMAND’ mit der Verortung der Refererent:innen, auf welche Bezug genommen wird, verschmelzen, indem die Gebärde direkt an der Stelle der Verortung ausgeführt wird. Dazu ein Beispiel:
(e) NIEMAND-2pl
Diese Möglichkeit (e) wird nicht häufig benutzt.
Eine noch nicht abgeschlossene oder noch nie ausgeführte Aktion / Handlung kommt einer Verneinung gleich. Dabei zeigt der Begriff ‘noch’, kombiniert mit ‘nicht’ oder ‘nie’ an, dass etwas bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht beendet wurde und lässt offen, ob es zu einem Abschluss kommen wird oder nicht.
In DSGS existiert die lexikalisierte Gebärde ‘NOCH’. Diese macht aber nur Sinn in Aussagen wie den folgenden:
Noch
(a)
ICH MÜSSEN NOCH KAUFEN++ || – 00:41-00:48
‘Ich muss noch einkaufen gehen’.
(b)
ICH MÜSSEN NOCH LESEN || – 00:49-00:50
‘Ich muss noch lesen.’
In den Beispielen (a) bis (c) weist die Gebärde ‘NOCH’ darauf hin, dass eine Handlung noch am Laufen ist (oder dass ein Vorhaben noch nicht begonnen hat).
Für eine ‘noch nicht’ abgeschlossene Handlung wird die Gebärde ‘NOCH’ jedoch weggelassen. Die Aussage ‘noch’ erscheint nur auf dem Mundbild, welches die Gebärde ‘NICHT’ begleitet:
Noch nicht
(d) NOCH-NICHT++ – 01:06-01:08
Auch für die Aussage ‘noch nie’ gilt, dass ‘noch’ nur auf dem Mundbild erscheint, welches die Gebärde ‘NIE’ begleitet:
Noch nie:
(f) NOCH-NIE – 01:09-01:10
‘NOCH-NICHT’ oder ‘NOCH-NIE’ zu gebärden wäre falsch, denn ‘noch’ und ‘nicht’ beziehungsweise ‘noch’ und ‘nie’ stehen inhaltlich in einem Widerspruch zueinander. In folgendem Beispiel wird die Aussage ‘NOCH-NICHT’ in nicht korrekter Weise gebärdet:
(a)
nmk: schütteln
BUCH IXa ICH *NOCH NICHT LESENa || – 00:04-00:08
‘Ich habe das Buch – noch – nicht – gelesen.’
Die Begriffe NOCH und NICHT gemeinsam zu benutzen, macht aus Sicht der DSGS keinen Sinn; die beiden Begriffe stehen in einem logischen Widerspruch zueinander: ‘NOCH’ deutet an, dass allenfalls beabsichtigt wird, das Buch zu lesen, ‹NICHT’ macht diese Aussage gleich wieder rückgängig.
(b)
IXa BUCH | ICH MÜSSEN NOCH LESENa || – 00:02-00:06
‘Ich muss das Buch noch lesen.’
Dazu ein Beispiel:
(c)
nmk: schütteln
BUCH IXa ICH NOCH-NICHT++ LESENa || – 00:00-00:04
‘Ich habe das Buch noch nicht gelesen.’
Von den lexikalisierten Modalverben (siehe Kapitel 7) ‘MÜSSEN’, ‘DÜRFEN’, ‘KÖNNEN’, ‘WOLLEN’, ‘SOLLEN’ und ‘MÖCHTEN’ ist nur das Verb ‘KÖNNEN’ in der Lage, die Verneinung zu inkorporieren.
(a) MÜSSEN – 00:08-00:09
‘muss’
(b) DÜRFEN – 00:09-00:10
‘darf’
(c) KÖNNEN – 00:10-00:11
‘kann’
(d) WOLLEN – 00:12-00:14
‘will’
(e) SOLLEN – 00:14-00:15
‘soll’
(f) MÖCHTEN – 00:15-00:16
‘möchte’
Die inkorporierte Verneinung des Modalverbs ‘KÖNNEN’ sieht folgendermassen aus:
(c) KÖNNEN-NICHT – 00:38-00:40
‘Ich kann nicht.’
Die inkorporierte Verneinung zeigt sich in der (einhändig oder zweihändig ausgeführten) α-Bewegung der Handform.
Die zusätzliche Gebärde ‘NICHT’ (gebildet mit der Zeigefinger-Handform oder der offenen Hand) ist nicht erforderlich, aber erlaubt:
2 Versionen: 1H:KANN-NICHT 2H:KANN-NICHT
‘Ich kann nicht.’
Alle anderen Modalverben benötigen für eine Verneinung zusätzlich die verneinende Gebärde (mit oder ohne Mundbild):
Die Stellung der verneinenden lexikalisierten Gebärden (‚NICHT‘) im Satz hängt damit zusammen, ob diese mit einer einmaligen oder wiederholten Bewegung ausgeführt werden. Bei einer einmaligen Bewegung steht die Gebärde oft innerhalb eines Satzes. Wird die Bewegung wiederholt, so steht die Verneinung meist vor einem Komma oder Punkt, also vor Ende eines Abschnittes, Teilsatzes oder eines ganzen Satzes. Eine Verneinung mit wiederholter Bewegung kann jedoch auch am Satzanfang stehen, wird dann aber am Satzende wiederholt. Meist steht die Verneinung mit wiederholter Bewegung jedoch am Schluss.
Kurze Sätze mit Verneinungen können folgendermassen aufgebaut sein: S-V, S-O-V oder S-V-O) (S: Subjekt, O: Objekt, V: Verb).
In kurzen Sätzen steht die Verneinung von einfachen Verben wie ‚SCHLAFEN‘, ‚ESSEN‘, ‚TRINKEN’ oder ‚WEINEN‘ in der Regel vor dem entsprechenden Verb. In dieser Position wird sie durch die verneinende Gebärde ‚NICHT‘ mit der Zeigefinger-Handform umgesetzt. Steht die Verneinung jedoch nach einem einfachen Verb, so wird sie in der Regel mit wiederholter Bewegung ausgeführt.
Dazu je ein Beispiel:
(a)
nmk: schütteln
MÄDCHEN IX-3 NICHT WEINEN IX-3 || – 00:00-00:05
‘Das Mädchen weint nicht.’
In diesem Beispiel steht die Verneinung mit einmaliger Bewegung vor dem einfachen Verb ‚WEINEN‘.
(b)
nmk: schütteln
MÄDCHEN IX-3 WEINEN | NICHT++ || – 00:19-00:22
‘Das Mädchen weint nicht.’
In Beispiel (b) folgt die Verneinung mit wiederholter Bewegung auf das einfache Verb ‚WEINEN‘.
Nicht korrekt wäre folgende Position der Verneinung:
(c)
nmk: schütteln
MÄDCHEN IX-3 WEINEN *NICHT || – 00:33-00:35
‘Das Mädchen weint nicht.’
In diesem nicht korrekten Beispiel folgt die Verneinung mit einmaliger Bewegung auf das einfache Verb ‚WEINEN‘. Steht die Verneinung an dieser Stelle, so muss die Bewegung wiederholt werden. Damit wird sie gleichzeitig betont.
Zur Satzstellung der Verneinung folgen weitere Beispiele:
(d)
nmk: schütteln
AUTO IX-3 NICHT ROT IX-3 || – 00:01-00:04
‘Das Auto ist nicht rot.’
Auf das Subjekt folgt die Verneinung mit einmaliger Bewegung und danach die Gebärde ‚ROT‘. Die Verneinung befindet sich innerhalb des Satzes.
(e)
nmk: schütteln
AUTO IX-3 ROT | NICHT++ || – 00:19-00:22
‘Das Auto ist nicht rot.’
In diesem Beispiel steht die Verneinung am Schluss, sie wird mit wiederholter Bewegung ausgeführt.
Dieselbe Stellung (am Schluss) nimmt die Verneinung auch in einem Satzgefüge ein:
(f)
nmk: schütteln 1x nicken
AUTO IX-3 ROT NICHT++ | BLAU || – 00:34-00:38
‘Das Auto ist nicht rot, sondern blau.’
In diesem Beispiel (f) geht es um eine ‚Gegenüberstellung‘ im Sinne von ‚nicht so, sondern so‘. Die Verneinung vor dem Komma, also innerhalb des Satzgefüges, wird mit einer einmaligen Bewegung ausgeführt.
Eine Verneinung mit einmaliger Bewegung wird innerhalb, eine Verneinung mit wiederholter Bewegung wird vor einem Komma oder am Satzende platziert.
Für die Stellung der Verneinung von übereinstimmenden Verben oder Ortswechsel-Verben in kurzen Sätzen gelten meist dieselben Regeln wie für die Stellung der Verneinung von einfachen Verben (sowohl für die Abfolge S-V, S-O-V als auch S-V-O).
Zunächst einige Beispiele zur Stellung der Verneinung von übereinstimmenden Verben:
(a)
nmk: schütteln
FRAU IX3 NICHT 3FRAGEN1 || – 00:40-00:42
‘Die Frau hat mich nicht gefragt.’
Zuerst wird das Subjekt (‘FRAU’) gebärdet, danach folgt die Verneinung (einmalige Bewegung), anschliessend das Verb und zuletzt das Objekt. Die Verneinung steht also vor dem übereinstimmenden Verb.
Nicht korrekt ist folgende Reihenfolge, da die Verneinung mit einfacher Bewegung ausgeführt wird:
(b)
nmk: schütteln
FRAU IX3 3FRAGEN1 ICH *NICHT || (*falscher Bsp.) – 00:53-00:56
In diesem Beispiel steht die Verneinung (einmalige Bewegung) nach dem übereinstimmenden Verb.
Möglich ist aber folgendes:
(c)
nmk: schütteln
FRAU IX3 3FRAGEN1 NICHT++ || – 00:59-01:01
In diesem Beispiel folgt die Verneinung ebenfalls auf das übereinstimmende Verb, die Bewegung wird in dieser Position aber wiederholt.
Es gilt also auch hier die Regel: Steht die Verneinung vor dem Verb, so wird sie in der Regel mit einer einmaligen Bewegung ausgeführt. Steht sie nach dem Verb, d.h. am Schluss oder vor einem Komma, so muss die Bewegung wiederholt werden.
Es folgen Beispiele zur Position der Verneinung von Ortswechsel-Verben:
(d)
nmk: schütteln
MANN IX3 NICHT BASEL HINGEHEN || – 00:00-00:03
‚Der Mann geht nicht nach Basel.‘
Die Verneinung (einmalige Bewegung) steht in diesem Beispiel vor dem Ortswechsel-Verb.
Wird die Verneinung mit wiederholter Bewegung ausgeführt, so kann sie auch nach dem Verb / am Schluss stehen, wie folgendes Beispiel zeigt:
(e)
nmk: schütteln
MANN IX3 BASEL HINGEHEN | NICHT++ || – 00:13-00:15
Möglich wäre es auch, die Verneinung mit wiederholte Bewegung an den Anfang zu stellen. Sie muss dann aber am Schluss auf die gleiche Weise wiederholt werden:
(f)
nmk: schütteln
NICHT++ | MANN IX3 BASEL HINGEHEN NICHT++ || – 00:19-00:23
Welche der aufgeführten Möglichkeiten umgesetzt wird, ist immer auch vom Kontext abhängig.
Am Schluss positioniert ist eine Verneinung in langen Sätzen. Die Verneinung der zu Beginn vermittelten Informationen erfolgt also erst am Satzende. Als Vergleich dazu zunächst ein Beispiel, in welchem die Verneinung innerhalb des Satzes steht:
(a)
nmk: schütteln
BUB IX-3 NICHT ALLEIN | MIT BUS NACH ZAHNARZT 3HINGEHENa || – 00:00-00:06
‚Der Bub geht nicht allein mit dem Bus zum Zahnarzt.‘
Üblicher ist folgender Satzbau:
(b)
nmk: schütteln
BUB IX-3 MIT BUS ZAHNARZT 3HINGEHENa | NICHT ALLEIN || – 00:20-00:25
‚Der Bub geht nicht allein mit dem Bus zum Zahnarzt.‘
In diesem Beispiel (b) wird zuerst darüber informiert, dass der Bub mit dem Bus zum Zahnarzt geht, dann folgt die Erklärung, dass er dies aber nicht alleine tut. Dieser Satzbau schafft mehr Klarheit als jener in Beispiel (a).
Eine weitere Möglichkeit:
(c)
nmk: schütteln
BUB IX-3 NICHT ALLEIN | MIT BUS NACH ZAHNARZT 3HINGEHENa |
nmk: schütteln
NICHT ALLEIN || – 00:32-00:37
‚Der Bub geht nicht allein mit dem Bus zum Zahnarzt.‘
Das Beispiel (c) verbindet die beiden Varianten (a) und (b), die Verneinung innerhalb und am Schluss des Satzes: Die Verneinung (mit einmaliger Bewegung) steht innerhalb des Satzes, also vor dem Verb, am Schluss folgt erneut eine Verneinung, diesmal aber mit wiederholter Bewegung. Diese Variante ist ebenfalls klarer als die Variante in Beispiel (a).
In DSGS werden verneinte Sätze meist nach den Satzbaumustern (b) und (c) gebildet. Zuerst werden Informationen vermittelt und erst am Schluss wird darüber aufgeklärt, dass diese Information beziehungsweise Teile davon nicht zutreffen.
Die Stellung von lexikalisierten verneinten Modalverben sieht folgendermassen aus: Die Verneinung folgt dem Modalverb. Meist wird die Verneinung mit einer einmaligen Bewegung ausgeführt. Am Schluss kann sie wiederholt werden; in dieser Position jedoch nur mit wiederholter Bewegung.
Beim Modalverb ‚KANN‘ ist eine Inkorporation der Verneinung möglich, indem eine α-Bewegung der s – Handform ausgeführt wird.
Die Verneinung der Modalverben kann auch alleine durch begleitendes Kopfschütteln gebildet werden.
Zur Stellung des verneinten Modalverbs einige Beispiele:
(a)
nmk: schütteln
BUB IX-3 DÜRFEN NICHT FERNSEHEN SEHEN || – 00:00-00:05
‚Der Bub darf nicht fernsehen.‘
In diesem Beispiel (a) wird die Verneinung ausgedrückt durch die Gebärde ‚NICHT‘ (mit Zeigefinger-Handform oder offener Hand 5 ), mit begleitendem Mundbild ‚darf-nicht‘ und mit begleitendem Kopfschütteln ab der Gebärde ‚DÜRFEN‘. Das Mundbild
läuft gegen Ende hin aus.
(b)
nmk: schütteln
BUB IX-3 DÜRFEN NICHT FERNSEHEN SEHEN | NICHT++ || – 00:20-00:24
‚Nein, der Bub darf nicht fernsehen.‘
Die Betonung der Verneinung wird realisiert durch Hinzufügen einer erneuten Verneinung (wiederholte Bewegung) am Schluss der Aussage.
Fragesätze lassen sich nach Art der Frage in zwei Gruppen aufteilen; in die Gruppe der Ja/Nein-Frage-Sätze (geschlossene Fragen) und die Gruppe der W-Frage-Sätze (offene Fragen, wer, was, warum etc.). Im Folgenden wird die erste Gruppe betrachtet. Grundsätzlich gelten für sie ähnliche Regeln wie für die bereits besprochenen verneinten Sätze: Eine Verneinung mit wiederholter Bewegung steht am Ende, eine Verneinung mit einmaliger Bewegung steht vor dem Verb. Dazu zwei Beispiele:
(a)
nmk: schütteln jn?
IX-2 MORGEN NICHT 2KOMMENa IX-2 || – 00:44-00:48
‚Kommst du morgen nicht?‘
In diesem Beispiel (a) steht die Verneinung (einmalige Bewegung) vor dem Verb.
(b)
nmk: jn? schütteln
MORGEN IX-2 2KOMMENa | NICHT++ || – 00:55-00:58
‚Kommst du morgen nicht?‘
In Beispiel (b) folgt die Verneinung (wiederholte Bewegung) am Schluss.
Es kommen hier also die allgemeingültigen Regeln für die Stellung der Verneinung im Satz zur Anwendung.
Verneinungen können unterschiedliche Funktionen haben beziehungsweise es können ihnen unterschiedliche Intentionen zugrunde liegen. Auf die folgenden drei wird näher eingegangen: Ablehnung / Skepsis, Befehl und Aufforderung / Bitte. Um welche Funktion beziehungsweise Intention es sich handelt, ist an den lexikalisierten Gebärden sowie den Modifikationen von manuellen und nichtmanuellen Komponenten zu erkennen.
Um eine Ablehnung oder Skepsis – eine der möglichen Funktionen einer Verneinung – zum Ausdruck zu bringen, existieren u.a. folgende lexikalisierte Gebärden:
(a) STIMMT-NICHT – 00:16-00:17
‘Stimmt nicht.’
(b) ERFUNDEN – 00:18-00:19
‘Erfunden.’
(c) ERGÄNZEN-VIEL – 00:19-00:21
‘Hinzudichten.’
Die Beispiele (a) bis (c) sind als Grundformen (Grundformen der manuellen und nichtmanuellen Komponenten) zu verstehen. Die Modifikation der manuellen und nichtmanuellen Komponenten verstärkt oder schwächt ab. Folgendes Beispiel zeigt zuerst eine verstärkte und dann eine abgeschwächte Variante der Grundform von ‘ÜBERRASCHUNG’:
(d) – 00:28-00:31
Ablehnung oder Skepsis können auch durch die verneinende Gebärden ‚NICHT‘ (mit Zeigefinger-Handform oder offener Hand) vermittelt werden.
Es folgt ein Vergleich von Grundform, Abschwächung und Verstärkung anhand der Beispiele ‚ÜBERRASCHUNG‘ und ‚STIMMT NICHT‘:
Grundform:
(e 1) GLAUBEN NICHT(1x) – 00:47-00:49
‘Das glaube ich nicht!’
(e 2) GLAUBEN NICHT(1x:stark betont) – 00:47-00:49
‘Das stimmt nicht!’
Abgeschwächte Variante:
(f 1) GLAUBEN NICHT(mehrmals, klein) – 00:49-00:51
‘Das glaube ich nicht wirklich.’
(f 2) STIMMEN-NICHT(alpha) – 00:56-00:57
‘Das stimmt kaum.’
(g 1) STIMMEN-NICHT(alpha, gross ) – 00:51-00:53
‘Das kann ich unmöglich glauben!’
(g 2) STIMMEN-NICHT(alpha, gross, stark betont) – 00:55-00:56
‘Da kann absolut nicht stimmen!’
In der gesprochenen Sprache ruft die Modulation der Stimme den gewünschten Effekt hervor. In der geschriebenen Sprache sind es Interpunktion, das Hinzufügen verstärkender oder abschwächender Worte und das Hervorheben einzelner Worte.
Die Haltung des Oberkörpers spielt ebenfalls eine Rolle, wenn es um die Differenzierung einer Verneinung geht. Im Falle der Ablehnung oder Skepsis ist der Oberkörper in der Regel rückwärtsgerichtet. Wird er dennoch nach vorne gerichtet, so kommt dies einer Behauptung oder Bekräftigung gleich:
(h) GLAUBEN NICHT(betont, lang) – 01:15-01:16
‚Das glaube ich nie und nimmer!‘
Die manuellen Komponenten Bewegung und Handform spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, eine Verneinung als Befehl zu gestalten. Da es sich bei einem Befehl per se um eine Verstärkung handelt, muss die verneinende Gebärde ‚NICHT‘ (mit Zeigefinger-Handform) zwingend mit einmaliger Bewegung ausgeführt werden.
(a) NICHT(scharf, fest) Zeigefinger-Handform einhändig – 00:38-00:39
‚Nicht!‘
Der Befehl selbst kann ebenfalls noch verstärkt werden, indem die Gebärde ‚NICHT‘ zweihändig oder mit der offenen Hand 5 (einhändig oder zweihändig) ausgeführt wird:
(b) NICHT(1x, Hf-5: scharf, fest) offene Hand einhändig – 00:041-00:42
‚Nicht!!‘
(c) NICHT(scharf, fest, 2H) Zeigefinger-Handform zweihändig – 00:42-00:43
‚Nicht!!‘
(d) NICHT(Hf-5, scharf, fest, 2H) offene Hand zweihändig – 00:43-00:44
‚Nicht!!‘
Die Beispiele (a) bis (d) zeigen deutlich, dass die Stärke und Dynamik der Bewegung und die Mimik dazu beitragen, den Befehl beziehungsweise die Verstärkung des Befehls umzusetzen. Wichtig dabei ist, die einmalige Bewegung bestimmt, klar und deutlich auszuführen.
Handelt es sich bei einer Verneinung um eine Aufforderung oder Bitte, etwas nicht zu tun, so wird die Bewegung der verneinenden Gebärden ‚NICHT‘ (mit Zeigefinger-Handform B oder offener Hand 5 ) oft wiederholt. Zusätzlich dazu spielt die Ausführungsstelle eine wichtige Rolle. Zwei Aussagen, welche an zwei unterschiedlichen Loki verortet sind, werden einander gegenübergestellt: Der erste Lokus steht für die Aussage ‘So soll es nicht sein’ und der zweite Lokus für die Aussage ‘So soll es sein’.
(a) NICHT++ ( klein)
(b) NICHT++ (Hf-5: klein)
‘So soll es nicht sein – so soll es sein.’
Die nichtmanuellen Komponenten sind ebenfalls daran beteiligt, eine Aufforderung oder Bitte zu transportieren: Oberkörper und Kopf sind nach vorne gerichtet.
Die rückwärtsgerichtete Haltung kommt – im Gegensatz zur Ablehnung in dieser Position – einer Abschwächung der Aufforderung oder Bitte gleich.
Im Gegensatz zum Befehl, welcher eine einmalige Bewegung der verneinenden Gebärden ‚NICHT‘ erfordert, wird die Bewegung bei einer Aufforderung wiederholt.
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