Eine Handlung beziehungsweise Aktion wird durch ein Verb ausgedrückt. Es werden folgende Verbarten unterschieden: Einfache Verben, übereinstimmende Verben, Ortswechsel- und Pfad-Verben, Hilfsverben, produktive Verbformen und Modalverben. Verben können mit zusätzlichen Informationen gleichzeitig angereichert werden.
Bei einfachen Verben handelt es sich um lexikalisierte Gebärden wie ‘SCHLAFEN’, ‘KAUFEN’, ‘SPIELEN’, ‘LESEN’, ‘DENKEN’, ‘LÜGEN’ oder ‘ARBEITEN’. Die Parameter Handform, Handstellung und Bewegung werden nie flektiert (grammatikalisch verändert). Einzig die Ausführungsstelle ist bei gewissen Verben modifizierbar (veränderbar).
Beispiele: Einige einfache Verben:
(a) SCHLAFEN – 00:08-00:09
(b) KAUFEN – 00:09-00:10
(c) SPIELEN – 00:11-00:12
(d) LESEN – 00:13-00:14
(e) DENKEN – 00:14-00:15
(f) LÜGEN – 00:16-00:17
(g) ARBEITEN – 00:18-00:19
Die einfachen Verben lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Die eine Kategorie umfasst Verben, welche im neutralen Gebärdenraum ausgeführt werden. Dazu gehören zum Beispiel ‘ARBEITEN’, ‘SPIELEN’, ‘LESEN’ und ‘KOCHEN’. Zur anderen Kategorie zählen körpergebundene Verben wie ‘SCHLAFEN’, ‘LÜGEN’, ‘ESSEN’ und ‘DENKEN’.
Bei Verben der ersten Kategorie kann die Ausführungsstelle im Gebärdenraum leicht modifiziert werden. Folgender Satz veranschaulicht diese Möglichkeit:
ICH HEUTE MORGEN IXa ARBEITENa | ABEND ICH IXb KOCHENb || – 01:14- 01:18
‘Heute Vormittag arbeite ich, am Abend werde ich kochen’.
Die Verben ‘ARBEITEN’ und ‘KOCHEN’ werden in diesem Beispiel nicht vor dem Oberkörper, sondern links und rechts ausgeführt, da mit den Tätigkeiten unterschiedliche Orte assoziiert werden.
Zu gewissen Verben der zweiten Kategorie muss das Hilfsverb PAM (‘person agreement marker’, Personenkongruenzmarker) hinzugefügt werden, um die Übereinstimmung von Verb und zuvor verorteten Referent:innen (Subjekt, Objekt) aufzuzeigen:
Personenkongruenzmarker PAM
Das Hilfsverbs PAM drückt durch die Bewegung des Handgelenks aus, wer die Handlung ausführt (Agens) und wer von der Aktion oder Handlung betroffen ist (Patiens oder Rezipient). Der Handrücken zeigt dabei immer in Richtung Subjekt (Agens), die Handfläche am Ende der Bewegung in Richtung Objekt (Patiens). Das Hilfsverb PAM folgt unmittelbar auf das Verb.
Dazu je ein Beispiel mit den Verben ‘LÜGEN’ und ‘MÖGEN’:
IX-3a LÜGEN aPAMb || – 01:44-01:47
‘Er/sie lügt ihn/sie an.’
Das Hilfsverb PAM zeigt also auf, wer Subjekt und wer Objekt ist beziehungsweise welche der beiden Referent:innen die handelnde Person (Agens) ist und welche von der Aktion oder Handlung betroffen (Patiens) ist.
IX-3a GERN-HABEN aPAMb || – 01:53-01:55
‘Er/sie mag ihn/sie.’
Das Hilfsverb PAM, welches zu gewissen einfachen körpergebunden Verben hinzugefügt wird, kann mit folgenden zwei Handformen ausgeführt werden:
(a) Handform 1
PAM und ‘PERSON’ werden mit unterschiedlichen Bewegungsabläufen ausgeführt und haben eine je andere Funktion beziehungsweise Bedeutung.
Das Hilfsverb PAM kann mit der dominanten wie auch mit der nichtdominanten Hand ausgeführt werden.
Das einfache Verb kann im Satz an unterschiedlicher Stelle stehen. Folgende Anordnungen von Subjekt, Objekt und einfachem Verb sind korrekt: S-O-V, S-V-O und O-S-V. Dazu je ein Beispiel:
(a) S-O-V
ICH BROT KAUFEN || – 00:42-00:44
‘Ich kaufe (ein) Brot.’
Das einfache Verb ‘KAUFEN’ steht am Schluss des Satzes.
(b) S-V-O
ICH KAUFEN BROT || – 00:53-00:55
‘Ich kaufe Brot.’
Diese Reihenfolge ist üblich, wenn in der folgenden Aussage unmittelbar wieder auf das Objekt Bezug genommen wird wie in folgendem Beispiel:
(c) S-V-O
ICH KAUFEN BROT IX-3 || IX-3 FEIN Geste(sehr) TEUER IX-3 || – 01:03-01:07
‘Ich kaufe Brot. Es ist sehr fein, aber auch recht teuer.’
(d) O-S-V
BROT | ICH IX-3 KAUFEN || – 01:18-01:20
‘Brot kaufe ich.’
Um das Objekt zu betonen, es zum Thema des Satzes zu machen, wird es an den Anfang gestellt. Anschliessend folgt der Kommentar beziehungsweise die Aussage (Rhema) zum eingeführten Thema (Topikalisierung). Die thematische Hervorhebung wird mimisch, die Unterscheidung zwischen Thema und Rhema durch die unterschiedliche Haltung des Kopfes/Oberkörpers markiert.
Übereinstimmende Verben sind lexikalisierte Gebärden wie ‘FRAGEN’, ‘ERKLÄREN’, ‘TELEFONIEREN’ oder ‘ANTWORTEN’. Um die Übereinstimmung (Kongruenz) zwischen Verb, Subjekt und Objekt darzustellen und Informationen zu Person und Numerus zu vermitteln, werden Handstellung, Bewegung und Ausführungsstelle flektiert.
Beispiele: Nicht-modifizierte Grundformen einiger Übereinstimmungsverben
(a) FRAGEN – 00:07-00:08
(b) ERKLÄREN – 00:08-00:09
(c) TELEFONIEREN – 00:10-00:11
(d) ANTWORTEN – 00:11-00:12
Übereinstimmende Verben bewegen sich zwischen verschiedenen Punkten (oder Loki) im Gebärdenraum, welche unterschiedliche Referent:innen repräsentieren (siehe Kapitel 2). In der Regel beginnt die Bewegung bei dem Punkt, welcher das Subjekt repräsentiert und endet bei jenem Punkt, welcher für das direkte oder indirekte Objekt steht. Es gibt aber auch übereinstimmende Verben, bei denen es sich genau umgekehrt verhält, die Bewegung also beim Objekt beginnt und beim Subjekt endet (= umgekehrte Übereinstimmung).
Einige Übereinstimmungsverben können für jede grammatische Person modifiziert werden. Diese Verben sind multidirektional, d. h. die Bewegung kann zu und von den Bezugspunkten aller Personen erfolgen.
Bei anderen Verben ist die Bewegung teilweise-direktional, d. h. sie kann nur in die Richtung bestimmter Referent:innen erfolgen, was bedeutet, dass sie nicht für jede grammatische Person modifiziert werden kann. Grund für eine nur teilweise-direktionale Modifikation sind physiologische Gegebenheiten wie der eingeschränkte Bewegungsradius des Handgelenks.
Bei multidirektionalen Übereinstimmungsverben wie ‘FRAGEN’, ‘ERKLÄREN’ oder ‘TELEFONIEREN’ beginnt die Bewegung immer beim Subjekt und endet beim Objekt:
(a) 1FRAGEN3 – 00:33-00:34
‘Ich frage ihn/sie.’
Multidirektionale Übereinstimmungsverben sind für jede grammatische Person modifizierbar, d.h. die Bewegung ist in Richtung aller Referent:innen ausführbar:
(b) 3FRAGEN1 – 00:50
‘Er/sie fragt mich.’
(c) 3FRAGEN2 – 00:53-00:55
‘Er/sie fragt dich.’
(d) 2FRAGEN1 – 00:58-00:59
‘Du fragst mich.’
(e) 3aFRAGEN3b – 01:03-01:05
‘Er/sie fragt ihn/sie.’
(f) 3bFRAGEN3a – 01:05-01:18
‘Er/sie fragt ihn/sie.’
Bei Verben wie ‘EINLADEN’, ‘ABHOLEN’ oder ‘AUSWÄHLEN’ erfolgt die Markierung von Subjekt und Objekt genau umgekehrt. Ausgangspunkt des Verbs ist das Objekt, Endpunkt das Subjekt, wie auch folgende Beispiele zeigen:
(a) 3EINLADEN1 – 00:28-00:29
‘Ich lade ihn/sie ein.’
(b) 3aAUSWÄHLEN3b – 00:54-00:55
‘Er /sie wählt ihn/sie.’
(c) 1KOPIEREN2 – 00:56-00:57
‘Du kopierst mich.’
Umgekehrt übereinstimmende Verben können ebenfalls in alle Richtungen ausgeführt werden, sind also ebenfalls für jede Person flektierbar.
Alle multidirektional übereinstimmenden Verben können für jede grammatische Person modifiziert werden. Bei einigen Verben mit teilweise-direktionaler Übereinstimmung wie z.B. ‘VERKAUFEN’, ‘FOLGEN’, ‘BEZAHLEN’ ist eine Richtungsumkehr in Richtung der ersten Person unmöglich, weil es physisch schwierig ist, diese Umkehrung zu erzeugen. Eine Bewegungsausführung von der 2. Person (als Subjekt) zur 1. Person (als Objekt) beziehungsweise von der 3. Person (als Subjekt) zur 1. Person (als Objekt) ist nicht möglich:
(a) Nicht mögliche Übereinstimmung – 00:36-00:40
Beispiele: Teilweise-direktionale Verben, bei denen eine Richtungsumkehr nicht möglich (=*) ist:
(b) *3BEZAHLEN1 – 00:42-00:43
‘Er/sie bezahlt mir.’
(c) *3FOLGEN1 – 00:45-00:46
‘Er/sie folgt mir.’
(d) *3VERKAUFEN1 – 01:00-01:01
‘Er/sie verkauft mir.’
Möglich sind also nur die folgenden Übereinstimmungen:
(e) Mögliche Übereinstimmung – 00:49-00:56
Im Gegensatz zu den multidirektionalen übereinstimmenden Verben ist es aus physiologischen Gründen nicht möglich, bei teilweise-direktionalen Verben eine Bewegung von der 1. Person (als Objekt) zur 2. Person oder 3. Person (als Subjekt) auszuführen:
(a) Nicht mögliche Übereinstimmung – 00:16-00:18
Beispiele: Ausnahmen – Keine (*) umgekehrt teilweise-direktionale Verben
(b) *3AUSLEIHEN1 – 00:31
‘Er/sie leiht von mir aus.’
Da das Verb ‘AUSLEIHEN’ in dieser Konstellation nicht flektiert werden kann, müssen Subjekt und Objekt durch Indexieren angezeigt werden. Subjekt und Objekt müssen bei diesem Verb durch eigenständige Angaben identifiziert werden, z. B., indem man auf die für sie festgelegten räumlichen Bezugspunkte (Loki) zeigt:
(c) IX-3 POSS-1 BUCH AUSLEIHEN || – 00:35-00:37
‘Er/sie leiht sich mein Buch aus.’
Das übereinstimmende Verb wird damit zum einfachen Verb.
Eine andere Möglichkeit ist die Rollenübernahme:
(d) IX-3a POSS-1 BUCH | AUSLEIHEN(Rolle IX-3a) || – 00:41-00:43
‘Er/sie leiht sich mein Buch aus.’
Durch die Rollenübernahme (siehe Kapitel 11) und damit das Drehen des Oberkörpers ist es physiologisch möglich, die Bewegung aus der Perspektive der 3. Person (Subjekt) auszuführen.
Alle übereinstimmenden Verben beinhalten Informationen zu grammatischer Person und Numerus (Singular und Plural). Person und Numerus werden durch die Parameter Bewegung, Handstellung und Ausführungsstelle flektiert. Anhand dieser Parameter wird ersichtlich, welche Personen wie miteinander interagieren.
(a) 1FRAGEN2 – 00:32-00:33
‘Ich frage dich.’
Die Frage der 1. Person Singular richtet sich an die 2. Person Singular. Daher verläuft auch die Bewegung des Verbs ‘FRAGEN’ von ‘ICH’ in Richtung ‘DU’.
(b) 1FRAGEN2pl – 00:38-00:39
‘Ich frage euch.’
Die Frage der 1. Person Singular richtet sich an die 2. Person Plural. Die Bewegung des Verbs von ‘FRAGEN’ beginnt ebenfalls bei ‘ICH’, zeichnet dann aber einen Halbkreis von links nach rechts, um ‘EUCH’ auszudrücken.
(c) 1FRAGEN3++ – 00:44-00:45
‘Ich frage ihn/sie unablässig.’
In diesem Beispiel (c) richten sich mehrere Fragen der 1. Person Singular an die 3. Person Singular. Die Bewegung beginnen jeweils beim ‘ICH’ und endet bei ‘ER/SIE’. Da unablässig gefragt wird, wird die Gebärde – und damit die Bewegung vom Subjekt zum Objekt – mehrmals wiederholt.
Es gibt einige wenige lexikalisierte Verben wie ‘KÜNDIGEN’ oder ‘MITTEILEN’, welche die Merkmale einfacher Verben und übereinstimmender Verben vereinen. Da es sich um körpergebundene Verben handelt, ist der Körper der gebärdenden Person (bei ‘KÜNDIGEN’ und ‘MITTEILEN’ die Nase beziehungsweise Stirn) zwingend Ausgangspunkt der Bewegung, auch wenn sie selbst nicht Subjekt ist:
(a) KÜNDIGEN – 00:16-00:17
(b) MITTEILEN – 00:18-00:19
Zu beiden Verben je ein Beispiel:
(c) POSS-1 CHEF KÜNDIGEN1 || – 00:23-00:25
‘Mein/e Chef:in hat mir gekündigt.’
Subjekt ist in Beispiel (c) der/die Chef:in (‘ER’/‘SIE’), Objekt die gebärdende Person (‘ICH’). Dennoch ist die Nase der gebärdenden Person (‘ICH’) Ausgangspunkt des Verbs. Allerdings endet die Bewegung dann wieder beim Objekt (‘ICH’).
(d) IX-3 MITTEILEN3 – 00:41-00:43
‘Er/sie teilt ihr/ihm mit.’
In diesem Beispiel (d) ist die mitteilende Person Subjekt (‘ER’/‘SIE’), die empfangende ist Objekt (‘ER’/‘SIE’). Ausgangspunkt des Verbs ist die Stirn der gebärdenden Person, obwohl sie weder Subjekt noch Objekt ist.
Solche Mischformen aus einfachem und übereinstimmendem Verb sind jedoch die Ausnahme.
Das übereinstimmende Verb steht im Satz meist zwischen Subjekt und Objekt (S-V-O). Die Verortung des Objekts wird dabei bereits durch die Bewegungsausführung des Verbs vorweggenommen, das Ende der Bewegungsausführung ist mit dem Objekt identisch:
(a)
z.B. 1FRAGEN3
Weniger effizient sind Satzstellungen mit dem übereinstimmenden Verb am Schluss: S-O-V und O-S-V.
Beispiele: Alle drei Möglichkeiten S-V-O, S-O-V und O-S-V:
(b) S-V-O
ICH 1FRAGEN3a FRAU IX-3a || – 00:41-00:43
‘Ich frage die Frau.’
(c) S-O-V
ICH FRAU IX-3a 1FRAGEN3a || – 00:50-00:52
‘Ich frage die Frau.’
Diese Satzstellung ist weniger effizient als die erste, da sie eine zweimalige Bewegung erfordert (1.: Verortung ‘FRAU’ und 2.: übereinstimmendes Verb).
Ebenfalls mehr Zeit benötigt folgende Anordnung:
(d) O-S-V
FRAU IX-3a | ICH 1FRAGEN3a || – 01:01-01:03
‘Ich frage die Frau.’
Durch eine solche Satzstellung wird das Objekt (‘die Frau’) betont (Topikalisierung) und zum zentralen Thema gemacht.
In Gebärdensprache ist es möglich, mehrere Informationen simultan zu übermitteln, da beide Hände gleichzeitig eingesetzt werden können:
(a) ZWEI PERSON PERSON dH:3a ndH:3b SCHAUEN1 || – 00:12-00:14
‘Zwei Personen schauen sich an.’
(b) ZWEI PERSON PERSON BUCH dH:3a ndH:3b GEBEN:3b ndH:3a || – 00:15-00:17
‘Zwei Personen tauschen ihre Bücher aus.’
In den Beispielen (a) und (b) wird dieselbe Handlung von zwei verschiedenen Referent:innen gleichzeitig und wechselseitig vollzogen. Die Verben (a) ‘SCHAUEN’ und (b) ‘GEBEN’ werden daher simultan und mit gespiegelter Bewegung ausgeführt.
Es können auch unterschiedliche Verben gleichzeitig produziert werden, wie folgendes Beispiel zeigt:
(c)
dH: ICH 1FRAGEN2 ||
ndH: 3aSCHAUEN1 >>>>>>>>>>>>>>>>>>> || – 00:23-00:25
‘Während er/sie (A) mich anschaut, frage ich (B) ihn/sie.’
Der Aspekt der Art und Weise (einer Tätigkeit, eines Geschehens, eines Vorgangs oder eines Zustands) wird am Verb markiert mittels Mimik, Bewegung und Ausführungsstelle.
Dazu einige Beispiele zur Art und Weise, wie eine Arbeit ausgeführt werden kann:
(a) ICH ARBEITEN(nmk: ‘gewöhnlich’) || – 00:34–00:36
‘Ich bin (in gewohnter Art und Weise) am Arbeiten.’
Mundform ‹gewöhnlich›
Mundform und Bewegungsgeschwindigkeit drücken aus, dass die Arbeit in gewohnter Art und Weise ausgeführt wird, leicht von der Hand geht und in üblichem Tempo erledigt wird.
(b) ICH ARBEITEN(nmk: ‘stressig’) || – 00:45–00:47
‘Ich erledige die anstrengende Arbeiten unter Stress.’
Mundform ’stressig’
In Beispiel (b) handelt es sich um eine anstrengende Arbeit, die Stress verursacht.
Das Zusammenbeissen der Zähne bei geöffneten Lippen drückt Anstrengung und Anspannung aus.
(c) ICH ARBEITEN(nmk: ‘lustlos’) – 00:54–00:56
‘Ich verrichte die Arbeit lustlos.’
Mundform ‹lustlos’
Dass die Arbeit kein Vergnügen bereitet, lässt sich an der Mundform in Beispiel (c) erkennen.
(d) ICH ARBEITEN(nmk: ‘viel’) – 01:05–01:27
‘Ich habe viel Arbeit.’
Mundform ‘viel’
Dass es sich um eine Menge Arbeit handelt, welche unter Zeitdruck ausgeführt wird, zeigen die aufgeblasenen Wangen und das Tempo, mit welchem die Gebärde ‘ARBEITEN’ ausgeführt wird.
(e) ICH ARBEITEN++(nmk:‘viel’) || – 01:13–01:15
‘Ich habe immer wieder viel Arbeit.’
Mundform ‘viel’
Das mehrmalige Wiederholen des auf diese Weise ausgeführten Verbs bringt zum Ausdruck, dass regelmässig viel gearbeitet wird.
Eine Tätigkeit, ein Geschehen, ein Vorgang oder ein Zustand kann abgeschlossen oder unvollendet sein, andauern, sich in unterschiedlichen Zeitabständen wiederholen usw. Dieser Zeit-Aspekt wird am einfachen Verb und am übereinstimmenden Verb markiert mittels Bewegungsausführung:
(a) ICH ARBEITEN++(nmk:‘viel’, ‘andauernd’) – 00:17-00:19
‘Ich bin ununterbrochen am Arbeiten.’
Die mehrmalige Wiederholung des Verbs ‘ARBEITEN’, die auf der Zeitlinie nach vorne fortschreitende Bewegung und die Mimik weisen darauf hin, dass lange und ohne Unterbruch gearbeitet wird.
(b) IX-3 3FRAGEN1++++(nmk:‘missfallend’) || – 00:39-00:42
‘Er/sie fragt mich andauernd.’
In diesem Beispiel (b) wird das Verb ‘FRAGEN’ mehrmals und schnell wiederholt. Die gebärdende Person wird also andauernd (in hoher Frequenz) gefragt. Mimisch wird Missfallen ausgedrückt.
(c) 3BESUCHEN1+++(nmk:‘ab-und-zu’) || – 00:53-00:56
‘Er/sie kommt mich ab und zu besuchen.’
Dass eine Handlung in einer gewissen Regelmässigkeit, aber in grösseren Zeitabständen ausgeführt wird, zeigt sich an der Wiederholung und dem Tempo der Bewegung. Unterstrichen wird dies durch die Mundform und die Veränderung der Kopfhaltung.
Ortswechsel-Verben bezeichnen die Bewegung einer Person oder eines belebten oder unbelebten Objekts zwischen unterschiedlichen Orten (von-nach). Zusätzlich kann auch der grobe Verlauf dieser Bewegung vermittelt werden (‘wie’ von-nach?).
Pfad-Verben bezeichnen den Weg von einem Ausgangsort zu einem Zielort; sie funktionieren als eine Art Wegweiser/Pfeil (geradeaus, nach rechts, nach links, nach oben, nach unten).
Ortswechsel-Verben und Pfad-Verben werden entweder mit der Zeigefinger-Handform oder der B-Handform gebildet:
Handformen, verwendet in Ortswechsel-Verben und Pfad-Verben
Zeigefinger-Handform – B-Handform
Ortswechsel-Verben
Bei Ortswechsel-Verben sind die Fingerkuppen zu beachten. Sie zeigen eine imaginäre Linie an, die den Ausgangs- und Zielort miteinander verbinden.
Einige Beispiele zu den Ortswechsel-Verben (a-e):
(a)
dH: ICH ZÜRICH IXa aVON-BISb ST-GALLEN | ICH IX-ORTSW(a-b) || – 00:38-00:44
ndh: IXa>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> ||
‘Ich pendle zwischen Zürich und St. Gallen’.
Die Wiederholung der Bewegung drückt aus, dass Hin- und Rückweg regelmässig zurückgelegt werden (‘pendeln’).
(b) BALL PROD-fortbewegen(Ball rollt) IX-ORTSW(Pfad+wie:hüpfen) || – 00:50-00:54
‘Der Ball rollt vom Tisch und hüpft über den Boden’.
Mittels Bewegung wird hier veranschaulicht, wie sich der Ball fortbewegt (‘rollen’ und ‘hüpfen’).
(c) VOGEL FLIEGEN | IX-ORTSW(Pfad:a-b(nmk: ‘schnell’) || – 00:56-00:58
‘Ein Vogel fliegt schnell vorbei’.
Bewegung und Mundform geben Auskunft zur Bewegungsgeschwindigkeit (‘schnell vorbeifliegen’).
(d) ICH BASEL ICH IXa 1GEHEN-DORTa || – 01:29-01:31
‘Ich gehe nach Basel.’
Alle vier Fingerkuppen zeigen in Richtung Zielort, die Bewegung wird ebenfalls in diese Richtung ausgeführt.
(e) ICH UNIVERSITÄT IXa(mb: ‘diese’) ICH 1GEHEN-DORTa || – 01.34-01:36
‘Ich gehe zu dieser Universität.’
Auch in diesem Beispiel orientieren sich Fingerkuppen und Bewegung in Richtung Zielort.
Pfad-Verben
Bei Pfad-Verben ist der ganze Zeigefinger oder die ganze Handfläche (B-Hand) zu beachten. Diese zeigen und bewegen sich wie ein Pfeil oder Wegweiser vom Ausgangsort in die Richtung des Zielortes und zeichnen somit einen imaginären Pfad nach.
Mit einem Pfad-Verb kann die Route von einem Ort zum anderen aufgezeigt werden wie in folgender Antwort auf die Frage nach dem Weg zum Supermarkt ‘Coop’:
(i)
dH: Geste(‘ah’) IXa PFADa->b IXb(dort) COOP ||
ndH: IXa (hier)>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> ||
‘Auf diesem Weg zu Coop gehen.’
Der Zeigefinger funktioniert hier als Pfeil, welcher zum Zielort hinführt. Alternativ kann die flache B-Handform benutzt werden:
Modalverben sind meistens unterstützende Hilfsverben. Sie drücken einen Wunsch, einen Willen, eine Absicht, eine Möglichkeit, eine Pflicht oder einen Zwang aus. Modalverben stehen in der Regel in Kombination mit einem anderen Verb, um dessen Bedeutung zu präzisieren oder zu verändern.
Die DSGS kennt folgende lexikalisierte Modalverben:
(a) MÜSSEN – 00:17
‘muss’
(b) KÖNNEN – 00:19
‘kann’
(c) DÜRFEN – 00:21-00:22
‘darf’
(d) WOLLEN (3 Varianten) – 00:26-00:29
‘will’
(e) SOLLEN – 00:31-00:32
‘soll’
(f) MÖCHTEN – 00:34-00:35
‘möchte’
‘Möchten’ wird oft ohne, kann aber auch mit Mundbild gebärdet werden:
(g) MÖCHTEN ohne und mit Mundbild – 00:38-o0:41
‘möchte’
Bei den restlichen Modalverben ist ein begleitendes Mundbild in der Regel obligatorisch. Es steht meistens in der 1. Person Singular. In einem Satz zum Beispiel, der "wir alle können" bedeutet, lautet das begleitende Mundbild ‘darf’.
Die Negationsform eines Modalverbs wird auf verschiedene Arten ausgedrückt. Das Modalverb ‘KÖNNEN’ wird ohne zusätzliche Gebärde verneint, indem die s-Handform eine (α)-Bewegung ausführt. Dies kann sowohl einhändig wie auch zweihändig erfolgen:
(a) 2 Versionen: 1H:KANN-NICHT 2H:KANN-NICHT – 00:15-00:18
‘Ich kann nicht.’
Die restlichen Modalverben benötigen zusätzlich eine der folgenden Gebärden für die Verneinung (einige werden mit, andere ohne Mundbild ausgeführt):
NICHT | NICHT(Hf-B/5) | NICHT++ | NICHT(Hf-B/5)++ – 00:28-00:32
Ein Modalverb unterstützt ein Hauptverb (z. B. ‘ARBEITEN’, ‘LESEN’, ‘KAUFEN’).
Die Satzstruktur, die Reihenfolge der Gebärden in einem Satz mit einem Modalverb (ModV), sieht folgendermassen aus: Falls es kein Objekt gibt, ist das Modalverb üblicherweise direkt vor dem Hauptverb positioniert: S-ModV-V. Wenn ein Objekt vorhanden ist, wird das Modalverb vor das Objekt gesetzt: S-ModV-O-V.
Ein Beispiel ohne Objekt (S-ModV-V):
(a) ICH MÜSSEN ARBEITEN || – 00.31-00:33
‘Ich muss arbeiten.’
Ein Beispiel mit Objekt (S-ModV-O-V):
(b) ICH MÜSSEN BROT KAUFEN || – 00.41-00:44
‘Ich muss Brot kaufen.’
Am Ende des Satzes wird das Modalverb oft wiederholt, was vermutlich in den meisten Fällen die Funktion hat, eine Betonung hinzuzufügen:
(c) ) ICH MÜSSEN BROT KAUFEN | MÜSSEN || – 01.05-01.09
‘Ich muss (!) Brot kaufen.
Mit einer produktiven Verbform können Aspekte von Referent:innen (Form, Position, Orientierung, Bewegung, Handhabung) oder ihre Aktionen so realitätsnah wie möglich beschrieben werden. Was genau auf diese Weise beschrieben wird, hängt vom Kontext ab, davon, worauf der/die Gebärdende den Fokus legen will. Produktive Verbformen haben also keine einheitliche Grundform (wie etwa die Gebärden ‘APFEL’ oder ‘ARBEITEN’); die Form und die Bedeutung ist kontextabhängig.
Daher werden diese Formen hier glossiert, indem sie als produktiv (PROD) bezeichnet werden und die Informationen, die in ihrer Verwendung in einem bestimmten Kontext enthalten sind, nachher und in einem Subskript vermerkt werden (z.B. PROD-stehen(Auto)a ).
Produktive Verbformen werden durch die Anwendung der folgenden verschiedenen Bilderzeugungstechniken gebildet: substitutive, manipulative, massanzeigende, skizzierende, stempelnde und indizierende Technik. Obwohl diese Bilderzeugungstechniken nicht nur für Verbformen verwendet werden, werden sie hier alle beschrieben.
Eine produktive Form, die sich aus der Substitutor-Technik ergibt, verwendet die ganze Hand oder einen Teil der Hand, um für ein belebtes oder unbelebtes Objekt zu stehen. Dazu wird eine Klassifikator-Handform verwendet, die eine Klasse von Objekten mit ähnlicher Form oder ähnlichem Formaspekt darstellt. Diese Substitutor-Formen können die Position, die Lage und die Bewegung des zu vertretenden Objektes darstellen. Auf eine im Gebärdenraum verortete produktive Form kann im weiteren Verlauf einer Aussage wieder referenziert werden.
Nachfolgend einige Beispiele unterschiedlicher produktiver Formen, in der die Hand ein Ersatz/eine Substitution für ein Objekt ist:
(a) Produktive Form mit der Substitutor-Handform für grosse Fahrzeuge
Durch dieselbe substitutive Technik werden auch Objekte wie ein ‘Schiff’ oder die ‘Bahn’ vertreten. Die Produktivform gibt nicht an, um welches dieser grossen Fahrzeuge es sich handelt. Dies ergibt sich erst aus dem Kontext beziehungsweise aus dem/der zuvor im Satz eingeführten Referent:in, für die die produktive Form Ersatz ist.
Ein Substitutor orientiert sich immer an der Form eines Objektes. Im Falle eines stehenden Autos wird die flache, nach unten zeigende Hand als Ersatz benutzt, da es sich um ein Objekt mit grosser Auflagefläche handelt, dessen Länge grösser ist als die Höhe.
(b) ‘SCHIFF’, ‘BAHN’ – 00:38-00:46
Ein im Regal stehendes Buch zeichnet sich durch eine andere Form und durch andere Dimensionen aus. Seine Substitutor-Form nutzt die gleiche Handform wie der Substitutor für ‘AUTO’, die Handstellung ist jedoch eine andere, da es auf einer schmalen, kurzen Auflagefläche im Regal steht:
(c) Produktive Form mit Hand als Substitutor für ‘ein Buch, das in einem Bücherregal steht’
Aus der gleichen Handform und wiederum aus einer anderen Handstellung setzt sich der Substitutor für Fahrrad zusammen:
(d) Produktive Form mit Hand als Substitutor für ein ‘Fahrrad’
Während die B-Handform mit Handfläche nach unten | u.a. vierrädrige Fahrzeuge substituiert (grosse Auflagefläche), wird sie für die Substitution eines Fahrrades oder eines anderen zweirädrigen Fahrzeugs nach rechts gekippt ~ (schmale, lange Auflagefläche).
Dass sich Handform und Handstellung eines Substitutors der Form des zu vertretenden Objekts anpassen, zeigen auch folgende Beispiele für andere Objekte:
(e) Substitutor für einen ‘Menschen’
Zeigefinger und Mittelfinger stehen hier für die Beine einer Person. Dieser Substitutor für Personen ist geschlechtsneutral.
(f) Substitutor für ein ‘Bein’
Die Zeigefinger beider Hände stehen hier stellvertretend für je ein Bein.
(g) Substitutor für ein grosses Objekte (wie ein ‘Haus’)
(h) Substitutor für ein einzelnes, langes vertikales Objekt (wie ein ‘Baum’ / eine ‘Person’)
Im Gegensatz zur substitutiven Technik, bei der die Hand für ein Objekt steht, steht die Hand bei der manipulativen Technik dafür, wie ein Objekt gehalten oder benutzt wird. Die Handform und die Handstellung vermitteln Informationen zu Form und Grösse des Objektes.
Dazu unterschiedliche Beispiele:
(a) Manipulator für Objekte, welche mit Daumen und Fingern umschlossen werden
Das Beispiel (a) zeigt, wie ein Trinkglas gehalten und zum Mund geführt wird. Dieselbe Manipulator-Form wird für die Handhabung von weiteren zylinderförmigen Hohlgefässen wie Flaschen, Büchsen oder Rohren mit ähnlich grossem Durchmesser benutzt.
(b) Manipulator für Objekte, welche mit dem Pinzettengriff gehalten werden
In diesem Beispiel (b) wird der Henkel einer Tasse mit Daumen und Zeigefinger gehalten und zum Mund geführt.
Dieselbe Manipulator-Form wird auch für die Handhabung anderer dünner, schmaler Objekte wie für den Stiel einer Blume oder einen Nagel benutzt:
(c) Manipulator für Objekte, welche in der Hand liegen, mit Zeigefinger und Daumen gehalten und von Mittel-, Ring- und kleinem Finger umschlossen werden
In ersten Beispiel wird ein Hammer gehalten und damit ein Nagel eingeschlagen. Derselbe Manipulator wird für das Halten und Handhaben eines Schlüssels benutzt, wie das zweite Beispiel zeigt.
(d) Manipulator für Objekte, welche mit der Faust umschlossen werden
Der Manipulator in diesem Beispiel (d) gibt wieder, wie ein Türgriff gehalten und gehandhabt wird.
Wie die Beispiele zeigen, passen sich die vier Parameter, insbesondere Handform und Handstellung, also stets der Form, den Ausmassen und dem Volumen eines Objektes an:
Mit der massanzeigenden Bilderzeugungstechnik werden die absolute oder die relative Grösse von belebten oder unbelebten Objekten beschrieben. Meist wird dazu die B-Handform benutzt.
Dazu einige Beispiele:
(a) ‘Der Mann ist sehr gross, die Frau eher klein.’
In diesem Beispiel (a) werden einerseits die relative Grösse des Mannes und der Frau in Bezug zur gebärdenden Person sowie der Grössenunterschied zwischen Mann und Frau angezeigt.
(b) ‘Die neugeborenen Kätzchen sind so klein.’
Dieses Beispiel (b) vermittelt die absolute Grösse der Kätzchen.
Nebst der Grösse kann mit der massangebenden Bilderzeugungstechnik auch die Form eines Objekts wiedergegeben werden:
(c) ICH KAUFEN SCHÖN VASE PROD-Form(grosse Vase) || – 00:38-00:42
‘Ich kaufe eine schöne grosse, bauchige Vase mit einem schmalen kurzen Hals und einer breiten Öffnung.’
Bevor Grösse und Form eines Objekts beschrieben werden können, muss das Objekt selbst benannt werden (z.B. ‘Vase’). Die massangebende Bilderzeugungstechnik vermittelt danach ein recht genaues Bild eines Objekts in kurzer Zeit. Im Deutschen erfordert dieselbe Grössen- und Formbeschreibung mehrere Adjektive.
(d) – 00:53-00:59
In Beispiel (d) werden unterschiedliche Grössen und Formen von Rohren dargestellt.
Die massangebende Bilderzeugungstechnik nutzt meist die B-Handform, oft mit beiden Händen, um ein Abbild eines dreidimensionalen Objekts wiedergeben zu können.
In folgendem Beispiel (Kaffeemaschine) wird zusätzlich eine weitere Handform gewählt, um ein Detail zu beschreiben (Kaffeeauslauf):
(e) – 01:10-01:14
Die massangebende Bilderzeugungstechnik kann sich mit der skizzierenden oder mit der manipulativen Bilderzeugungstechnik überschneiden.
In folgenden Beispielen werden gleichzeitig Informationen zur Handhabung (Manipulator) und Grösse (Mass) eines Objekts (‘Buch’) vermittelt:
(f) – 01:31-01:33
Hand und Bewegung funktionieren in diesem Beispiel einerseits als Manipulator, da eine Handlung vollzogen wird (das Buch wird ins Regal gestellt). Gleichzeitig gibt die Handform aber auch Auskunft über die Dicke des Buches (Mass).
Um die Grössenangabe zu verändern (dünnes oder dickes Buch), muss die Handform entsprechend angepasst werden:
(g) – 01:53-01:55
Im Gegensatz zur massangebenden Bilderzeugungstechnik vermittelt die skizzierende Bilderzeugungstechnik ein zweidimensionales Abbild eines Objektes, indem mit der Zeigefingerspitze sein Umriss (z.B. Umriss eines Bildes) nachgezeichnet wird:
(a) – 00:20-00:28
Dies muss nicht zwingend auf der vertikalen Ebene geschehen, wie folgende Beispiele zeigen (Umriss einer Brille und Umriss von Katzenohren):
(b) – 00:37-00:43
Die Skizze der ‘Katzenohren’ bildet nicht nur ihren Umriss, sondern auch ihre Ausrichtung ab.
In folgendem Beispiel (‘Bilderrahmen’) überschneiden sich skizzierende Bilderzeugungstechnik und massangebende Bilderzeugungstechnik. Skizziert wird aber immer auf einer zweidimensionalen Ebene:
(c) – 00:47-00:51
Die stempelnde Bilderzeugungstechnik wird für die Beschreibung von Mustern, d.h. für die Darstellung von sich regelmässig wiederholenden Formen, benutzt.
Dazu einige Beispiele:
(a) ‘Roter Pullover mit weissen Punkten.’
Die F-0 Handform O gibt die Form des einzelnen Motivs (Punkt) wieder, die Bewegung die Regelmässigkeit und Wiederholung des Motivs. So entsteht das Bild eines Stempels, welcher weisse Punkte auf den roten Pullover setzt.
(b) ‘Bub mit Gesicht voller Sommersprossen.’
Die Fingerkuppen stehen in diesem Beispiel für die einzelnen Sommersprossen. Das Muster ergibt sich aus der sich wiederholenden Stempelbewegung.
Auch aus den folgenden Beispielen wird ersichtlich, dass die Handform die Form des einzelnen Motivs und die Bewegung das Muster (Regelmässigkeit und Wiederholung des einzelnen Motivs) wiedergibt.
(c) ‘Er/sie trägt ein weisses Oberteil mit schwarzen Streifen.’
Die indizierende (oder Pfad-) Technik vermittelt Informationen zur Fortbewegung eines Objekts von einem Ausgangspunkt zu einem Zielpunkt. Richtung und Richtungsänderungen können präzise angegeben werden, in dem sie mit dem Zeigefinger nachgezeichnet werden. Dies zeigen folgende Beispiele:
(a) – 00:15-00:18
In diesem Beispiel (a) wird mit dem Zeigefinger der genaue Flugverlauf eines Vogels wiedergegeben.
(b) – 00:27-00:35
In diesem Beispiel (b) werden sowohl der Weg einer Flüssigkeit in einer chemischen Anlage als auch die Art und Weise ihrer Fortbewegung (fliessen, tropfen, steigen) veranschaulicht.
(c) – 00:40-00:46
Der Zeigefinger zeichnet hier den Weg und die Art und Weise der Fortbewegung des Fussballs während eines Spiels nach (in die Luft gekickt, auf den Boden fallend, im Zickzack von einer Seite zur anderen springend).
Von den einfachen Verben über die übereinstimmenden Verben bis hin zu den produktiven Verbformen steigt die Komplexität, da die Modifikationsmöglichkeiten zunehmen.
Ob ein Inhalt durch ein einfaches Verb, ein übereinstimmendes Verb oder eine produktive Verbform ausgedrückt wird, ist abhängig vom Kontext und von der Textsorte. Grob unterschieden werden die Textsorten Erzählung, Erklärung, Information/Bericht, Beschreibung und künstlerischer Ausdruck:
Erzählung:
In einer Erzählung wird meist ein Erlebnis, Ereignis, eine Beobachtung oder auch eine Geschichte (z.B. Kinderbuch) möglichst präzise wiedergegeben. Daher nutzt diese Textsorte viele produktive Verbformen sowie auch viele Rollenwechsel, welche konstruierte Aktion und konstruierten Dialog beinhalten (siehe Kapitel 11).
Information/Bericht:
Eine sachliche Information wie das Erläutern eines Programms, das Ankündigen eines Arbeitsauftrags oder der Rückblick auf die vergangene Wettersituation wird weniger mit produktiven Verbformen, sondern meist durch einfache und übereinstimmende Verben ausgedrückt.
Beschreibung:
Die Beschreibung einer Kaffeemaschine und ihrer Funktionsweise erfordert einen höheren Grad an Detailgenauigkeit und daher einen grossen Anteil an produktiven Verbformen, wie folgendes Beispiel zeigt:
(a) – 01:51-01:54
In Gebärdensprache gibt es eine gewisse Freiheit bezüglich Wahl der Verbart. Ein Inhalt kann sowohl durch ein einfaches Verb, ein übereinstimmendes Verb oder durch eine produktive Verbform umgesetzt werden. Je detaillierter etwas wiedergegeben werden soll, desto höher ist der Anteil an produktiven Verbformen. Es folgen Beispiele mit unterschiedlichen Verbarten:
(a) ICH GERN WASSER TRINKEN || – 00:27-00:30
‘Ich trinke gerne Wasser.’
Die Information in diesem Beispiel (a) ist allgemein gehalten.
(b) ICH GERN WASSER ICH PROD-drehen(Wasserhahn+Rolle:aus dem Wasserhahn trinken) || – 00:35-00:38
‘Ich trinke Wasser gerne direkt vom Wasserhahn.’
In diesem Beispiel (b) wird genau angegeben, welche Art von Wasser und wie dieses gerne getrunken wird: Leitungswasser direkt vom Wasserhahn, nicht aus einem Glas. Das Hinzufügen einer produktiven Verbform zu einem einfachen Verb liefert zusätzliche Informationen.
(c) ICH ARBEITEN | PROD-tippen(+Rolle) || – 01:01-01:03
‘Ich bin am Arbeiten.’
‘ARBEITEN’ gehört in der Regel zu den einfachen Verben. In diesem Beispiel (c) wird die Tätigkeit des Arbeitens jedoch spezifiziert (arbeiten am Computer) durch den Rollenwechsel und das Hinzufügen einer produktiven Verbform (Handhabung der Tastatur).
Die Spezifizierung der Tätigkeit des Arbeitens ist auch in folgendem Beispiel ersichtlich:
(d) ICH ARBEITEN | PROD-streichen(Wand + Rolle) | PROD-staubsaugen(+Rolle) || – 01:19-01:23
‘Ich streiche die Wände und sauge den Boden.’
Rollenwechsel und produktive Manipulationsverben vermitteln, dass die Arbeit aus dem Streichen der Wände und dem Staubsaugen besteht.
Einfache Verben, übereinstimmende Verben und produktive Verbformen unterscheiden sich durch die Modifikationsmöglichkeiten. Während bei den produktiven Verbformen alle Parameter modifiziert werden können, sind bei den übereinstimmenden Verben nur Handstellung, Bewegung, Ausführungsstelle und bei den einfachen Verben ist nur die Ausführungsstelle modifizierbar.
Dieselbe Tätigkeit kann sowohl durch ein einfaches Verb, ein übereinstimmendes Verb oder durch eine produktive Verbform ausgedrückt werden.
Viele lexikalisierte Verben gehören zur Kategorie der einfachen Verben, dies ist aber nicht zwingend der Fall.
Ein übereinstimmendes Verb kann ebenfalls als einfaches Verb ausgeführt werden wie z.B. das Verb ‘FRAGEN’:
(a) FRAGEN als übereinstimmendes Verb
FRAU IX-3a 3aFRAGEN3b MANN IX-3b || – 00:49-00:50
In diesem Beispiel (a) wird die Tätigkeit des Fragens als übereinstimmendes Verb mit Ausgangspunkt beim Subjekt und Endpunkt beim Objekt umgesetzt.
(b) FRAGEN als einfaches Verb
FRAU IX-3a FRAGEN MANN IX-3b || – 00:54-00:56
Die Tätigkeit des Fragens wird in diesem Beispiel (b) in Form eines einfachen Verbs umgesetzt, die Übereinstimmung wird lediglich durch Indexierung angezeigt.
Variante (a) (übereinstimmendes Verb) ist jedoch viel klarer.
Die lexikalisierte Gebärde ‘DA’ zeigt Besitz, Eigentum oder Zugehörigkeit aus, drückt aus, dass über etwas verfügt wird, etwas vorhanden ist:
(a) ‘DA’ (2 Varianten) – 00:06-00:08
Dazu einige Beispiele:
(b) MÄDCHEN IXa | DA BALL || – 00:24-00:27
‘Das Mädchen hat einen Ball.’
(c) IXa FAMILIE | DA FÜNF KINDER || – 00:30-00:33
‘Die Familie hat fünf Kinder.’
(d) MANN IXa | DA ARBEITEN || – 00:35-00:39
‘Der Mann hat Arbeit.’
Die deutsche Sprache kennt die beiden Hilfsverben ‘sein’ und ‘haben’. Das Hilfsverb ’sein’ bedeutet u.a. eine bestimmte Eigenschaft oder Art zu haben. Im Beispiel ‘Das Mädchen ist traurig’ dient es dazu, einen inneren Zustand, eine Befindlichkeit auszudrücken.
Das Hilfsverb ‘haben’ drückt Besitz, Eigentum oder Zugehörigkeit aus, drückt aus, dass über etwas verfügt wird, etwas vorhanden ist.
Die Hilfsverben ‘haben’ und ‘sein’ dienen in der deutschen Sprache darüber hinaus dazu, Tempus und Modus auszudrücken. Im Gegensatz dazu drückt die Gebärde ‘DA’ lediglich Besitz usw. aus.
Es folgen zwei Beispiele dazu, wie in DSGS die Inhalte und Funktionen von ‘sein’ und ‘haben’ umgesetzt werden:
(e) MANN IX-3a TRAURIG IX-3a || – 01:23-01:27
‘Der Mann ist traurig.’
In diesem Beispiel (e) wird der innere Zustand des Mannes ausgedrückt, er ist traurig. Die DSGS verzichtet auf ein Hilfsverb wie ‘sein’.
(f) IX-3a MANN GESTERN LESEN || – 01:34-01:38
‘Der Mann hat gestern gelesen.’
In DSGS wird die Zeitangabe alleine durch die Gebärde ‘GESTERN’, welche vor dem Verb ‘LESEN’ steht, ausgedrückt. Das Verb ‘LESEN’ selbst wird nicht modifiziert. Im Deutschen setzt sich dieselbe Zeitangabe aus dem flektierten Hilfsverb ‘hat’ und dem flektierten Vollverb ‘gelesen’ zusammen.
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