Hörende Personen, welche sich viel im Gehörlosenwesen bewegen/bewegten (Arbeit, ein Teil des Lebens dort verbringen) erhalten/erhielten vom gehörlosen Umfeld eine Namensgebärde.
So war dies zum Beispiel bei hörenden Personen der Fall, welche in Anstalten, Internaten oder Schulen für gehörlose Kinder tätig waren (Lehrpersonen, Erzieher:innen, Direktor:innen, Leitungspersonen). Sie selbst hatten aber, abgesehen von wenigen Ausnahmen, keine Kenntnis davon, denn die Namen wurden nicht preisgegeben.
Heute noch erhalten hörende Personen, welche oft mit gehörlosen Personen zusammenarbeiten, eine Namensgebärde, manchmal nach gemeinsamer Absprache.
Daneben existieren auch Namensgebärden für Persönlichkeiten, welche nicht im Gehörlosenwesen arbeiten, aber in den Medien sehr präsent sind wie die Mitglieder des Bundesrates oder Sportler:innen. Um sich über diese Persönlichkeiten unterhalten zu können, berät sich die Gemeinschaft der Gehörlosen zu passenden Namensgebärden, einigt sich auf eine und vergibt diese.
Das Alter, in welchem eine Person eine Namensgebärde erhält, variiert. Bei der befragten Generation in der oben erwähnten Untersuchung (siehe Kapitel 15.20) geschah dies meist während der Zeit im Internat im Alter von sieben bis zehn Jahren, bei einigen auch später.
Heute arbeiten gehörlose Fachpersonen im Vorschulbereich und in der Schule und geben den Kindern Namensgebärden. Gebärdensprachlehrpersonen weisen auch Eltern und Lehrpersonen, welche einen Gebärdensprachkurs besuchen, nach gemeinsamer Absprache Namensgebärden zu.
Kinder, welche keinen Kontakt zu gehörlosem Fachpersonen haben (z.B. integriert geschulte Kinder) erhalten keine Namensgebärde oder erst später (ca. ab 14 Jahren), wenn sie die aktive Teilnahme in der Gehörlosengemeinschaft unter Beweis stellen (z.B. regelmässige Teilnahme an Sport-, Kultur- u.a. Anlässen).
Namensgebärden werden ausnahmslos von gehörlosen Personen aus dem nahen Umfeld der Person, welche eine Namensgebärde erhalten soll, vergeben. Verglichen werden kann dies mit dem Vergeben von Namen – aufgrund von bestimmten Ereignissen – innerhalb der indigenen Gemeinschaften Amerikas.
Der Grossteil gehörloser Menschen besitzt eine Namensgebärde. Dass es auch Personen ohne Namensgebärde gibt, hat mit der strengen lautsprachlichen Orientierung der besuchten Institution (des Heims, der Anstalt, der Schule) zu tun. Je nach Grad der lautsprachlichen Orientierung und dem Zeitpunkt, zu dem die Institution besucht wurde, wurden mehr oder weniger Namensgebärden vergeben; im Laufe der Zeit hat das Vergeben von Namensgebärden zugenommen. Im Gegensatz zu früher, als bei der Namensgebung sehr direkt und unverblümt vorgegangen wurde, wird sie heute oft zusammen mit dem/der Namensempfänger:in besprochen, das Einverständnis wird eingeholt und erst bei Zustimmung vollzogen. Dies dient dem Schutz der betreffenden Person.
Dass persönliche Namensgebärden innerhalb der sprachlich-kulturellen Minderheit gehörloser Personen einen hohen Wert haben, ist historisch begründet.
In der Schweiz entstanden in der Zeit von 1910 bis 1970/1980 auch Schulen (Heime, Internate, Anstalten) für gehörlose Kinder. Alle Kinder verbrachten einen grossen Lebensabschnitt gemeinsam in diesen Schulen, nach Hause gingen sie vielleicht einmal pro Monat oder nur während der Ferien. Der Unterricht war damals rein lautsprachlich orientiert. Ausserhalb des Unterrichts aber fanden die Kinder ihre eigene Art der Kommunikation, mit der sie sich identifizieren konnten und welche die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft bestärkte. Um sich über hörende Lehrpersonen oder Erzieher:innen unterhalten zu können, wiesen sie diesen Namensgebärden zu. Diese wurden nach aussen jedoch nicht preisgegeben, was den Zusammenhalt in der Gemeinschaft wiederum verstärkte.
Heute gibt es weniger Internatsplätze. Ab den 70er/80 Jahren des 19. Jahrhunderts besuchten die Kinder zunehmend als «Externe» die Schulen und diese öffneten sich für die Gebärdensprache auch im Unterricht. Auch die Regeln für die Namensgebung, welche damals nur dem vertrauten Kreis der gehörlosen Schüler:innen bekannt waren, haben sich im Verlaufe der Zeit verändert. Einige nicht mehr gebräuchliche und aktuelle Regeln werden im Folgenden erläutert.
Alle Gehörlosengemeinschaften auf der ganzen Welt weisen ihren Mitgliedern persönliche Namensgebärden zu. Dazu gibt es einige Studien aus unterschiedlichen Ländern. In der Deutschschweiz wurde 1993 im Rahmen der Ausbildung zur Gebärdensprachlehrperson eine Untersuchung zu Namensgebärden durchgeführt (Tanja Tissi). Einige Aspekt aus ihrer Befragung (wie sehen Namensgebärden aus, wie viele gibt es, von welchen Quellen sind sie inspiriert) werden im Folgenden erläutert und auch durch neue Erkenntnisse ergänzt, denn in den vergangenen 30 Jahre hat sich einiges verändert. So sind zum Beispiel auch hörende Personen an einer persönlichen Namensgebärde interessiert.
https://www.fzgresearch.org/PDF_VUGS/(23)%20Tissi%201993.pdf
Ein Vorname dient dazu, eine Person zu identifizieren. Um die Mitglieder einer sprachlich-kulturellen Gemeinschaft voneinander unterscheiden zu können, erhält daher jedes Mitglied einen persönlichen Vornamen. Jede Familie beziehungsweise jedes Elternpaar weist dem neugeborenen Kind einen (gesprochenen/geschriebenen) Vornamen zu und nimmt es damit in die Gemeinschaft auf. Der Vorname ist Ausdruck der Zugehörigkeit zu dieser sprachlich-kulturellen Gemeinschaft und fester Bestanteil der Identität eines Menschen.
In der Gemeinschaft der Gehörlosen, einer sprachlich-kulturellen Minderheit, werden ebenfalls persönliche Namen – sogenannte Namensgebärden vergeben. Somit verfügt ein Mitglied dieser Gemeinschaft über zwei Namen, einen gesprochenen/geschriebenen Vornamen und einen gebärdeten Namen. Jeder dieser beiden Namen steht für die Zugehörigkeit zur jeweiligen Gemeinschaft.
L / D D: Wechsel der Handstellung
Um die Buchstaben ‚D‘ und ‚L‘ unterscheiden zu können (der ausgestreckte Finger wird ertastet), werden sie mit unterschiedlichen Handstellungen ausgeführt.
S / O / E O: Wechsel der Handstellung E: Finger hoch/eng-gebeugt
Um die Buchstaben ‚S‘‚ O‘ und ‚E‘ nicht zu verwechseln, wird beim ‚O‘ die Handstellung verändert und beim ‚E‘ werden die Finger geöffnet, so dass ein Abstand zwischen Daumen und den andern Finger entsteht. Das ‚S‘ bleibt unverändert.
G / P P: Mit Mittelfinger
Zur Unterscheidung von ‚G‘ und ‚P‘ wird beim ‚P‘ zusätzlich der Mittelfinger ausgestreckt und die Handstellung verändert sich.
V / K K: Daumen zwischen V
Zur Unterscheidung von ‚V‘ und ‚K‘ umfasst beim ‚K‘ der Daumen nicht den kleinen und den Ringfinger, sondern streckt sich in den V-Ansatz.
A / S A: Daumen ausgestreckt
‘A’ und ‘S’ werden unterschieden, indem sich beim ‘A’ der Daumen von der Faust löst und ausgestreckt wird.
R / U R: gekreuzt und gestreckt
Zur Abgrenzung des ‘R’ vom ‘U’ werden beim ‘R’ die Finger stärker überkreuzt und gestreckt als beim nicht taktilen Fingeralphabet.
U /V V: Zeige- und Mittelfinger stärker gespreizt und gestreckt
Um das ‘V’ vom ‘U’ unterscheiden zu können, werden die Finger beim ‘V’ viel stärker gespreizt und gestreckt als beim nicht taktilen Fingeralphabet.
I / Y Y: Wechsel der Handstellung/Armstellung
Beim ‘Y’ wird die Hand/der Unterarm nach rechts (bzw. nach links) gekippt, so dass der Kleinfinger nicht wie beim ‘I’ nach oben zeigt, sondern schräg gestellt und gut ertastbar ist.
Alle diese Modifikationen werden dann angewendet, wenn ein Begriff langsam und exakt buchstabiert wird. Für Personen, welche mit dem taktilen Fingeralphabet bereits gut vertraut sind, kann auch fliessend – mit den genannten Modifikationen – buchstabiert werden.
Für gehörlose Menschen mit einer zusätzlichen Sehbehinderung (taubblinde Personen, Personen mit Usher-Syndrom) wird das taktile Fingeralphabet benutzt. Dieses wird mit kleineren Bewegungen ausgeführt. Einzelne Buchstaben, welche aufgrund ihrer Ähnlichkeit beim Ertasten leicht verwechselt werden könnten, werden durch folgende Modifikationen der manuellen Komponenten unterscheidbar.
Die Bedeutung unterschiedlicher Bewegungsausführungen von Gebärden, welche aus einem einzigen Buchstaben bestehen (stellvertretend für Eigennamen), wird anhand folgender Beispiele aufgezeigt:
Schnelle Hin- und Her-Bewegung bei Vornamen
(a) ‘S’ für ‘SUSANNE’
00:20-00:21
Die schnelle Hin- und Herbewegung des Anfangsbuchstabens ‘S’ begleitet vom Mundbild ‘Susanne’ steht stellvertretend für den vollständigen Vornamen ‘SUSANNE’. Analog dazu wird mit anderen Eigennamen verfahren (‘M’, ‘L’ etc.). Diese Möglichkeit wird oft benutzt.
Bewegung bei Vor- und Nachnamen / bei mehreren Vor-/Nachnamen
(b) ‘SUSANNE MÜLLER’
00:35-00:36
Beim Angeben von Vor- und Nachname (oder von mehreren Vor-/Nachnamen) fällt die schnelle Hin- und Herbewegung weg. Die einzelnen Anfangsbuchstaben werden nacheinander an unterschiedlichen Ausführungsstellen (nach rechts bzw. nach links) produziert.
Es gibt einige deutsche Wortzusammensetzungen (Komposita), die in DSGS dargestellt werden, indem der Anfangsbuchstabe des entsprechenden Wortes mit einer Gebärde kombiniert wird, die bereits für das zweite Wort existiert. Zusätzlich werden bestimmte manuelle Komponenten genutzt.
Zwei Beispiel dafür sind die lexikalisierten Gebärden ‘PRIMARSCHULE’ und ‘SEKUNDARSCHULE’.
(a) ‚ PRIMARSCHULE’ ‘
00:20-00:21
(b) ‚ SEKUNDARSCHULE’ ‘
00:22-00:23
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