In DSGS existieren mehrere verneinende Gebärden. Insbesondere benutzt werden die zwei folgenden lexikalisierten Gebärden ‚NICHT‘. Beide Gebärden haben dieselbe Funktion der Verneinung, werden aber mit unterschiedlichen Handformen (Grundformen) gebildet (Zeigefinger-Handform  oder offene Hand ):

 

(a) NICHT

NICHT++

(b) NICHT(Hf-5)

NICHT(Hf-5)++

– 00:11-00:13

Die Bewegung dieser zwei am häufigsten gebrauchten verneinenden Gebärden kann einmal oder mehrmals erfolgen. Eine einmalige Bewegung wird in der Regel ausgeführt, wenn die Verneinung innerhalb eines Satzes steht. Eine mehrmalige Bewegung steht in der Regel am Satzende, am Satzanfang oder sowohl als auch. Dazu je ein Beispiel:

(c) Verneinung innerhalb eines Satzes:

nmk:                                                 schütteln

GESTERN  ICH  KATZE  NICHT  SEHEN  ICH  ||Video – 00:01-00:04

‚Ich habe die Katze gestern nicht gesehen.‘

(d) Verneinung am Satzende:

nmk:                                                           schütteln

GESTERN   ICH   KATZE  SEHEN  |   ICH   NICHT++  ||00:00-00:04

‚Ich habe die Katze gestern nicht gesehen.‘

Sowie die manuellen Komponenten haben auch die nichtmanuellen Komponenten verneinender Gebärden eine feste Grundform. Die Grundform der nichtmanuellen Komponente Kopf besteht aus Kopfschütteln:

 

(a) Kopfschütteln  – 00:12-00:14

 

Auch die Modifikation einer nichtmanuellen Komponente führt dazu, dass eine Verneinung verstärkt oder abgeschwächt wird. Der Oberkörper wird meist nach hinten, kann aber auch nach vorne geneigt werden. Das Schütteln des Kopfes erfolgt in der Position des Oberkörpers.

 

Die Art und Weise, die Dynamik des Kopfschüttelns kann je nach Differenzierung der Verneinung sehr unterschiedlich ausfallen (dezente, kräftige, kleine, grosse, einmalige, mehrmalige Bewegung etc.), wie folgende Beispiele zeigen:

 

(b) – 00:44-00:50

Auch Mundbilder und Mundformen sind bei einer Verneinung zu beachten. Sie können ebenfalls modifiziert werden und geben damit über die Art der Verneinung Auskunft.

Die folgenden lexikalisierten verneinenden Gebärden sind in ihrer „regulären“ Form dargestellt. Dies bedeutet, dass sie sich aus den Grundformen ihrer manuellen Komponenten zusammensetzen, die manuellen Komponenten also nicht modifiziert sind:

 

(a) ‚NIE‘ – 00:05-00:06

(b) ‚KEIN‘ – 00:06-00:07

(c) ‚NULL‘ – 00:07-00:08

 

Die Differenzierung einer verneinenden Gebärde (Verstärkung oder Abschwächung der Verneinung) ergibt sich stets aus der Modifikation der manuellen Komponenten und damit aus der Abweichung der manuellen Komponenten von ihren Grundformen. Die Grundform ist die Bezugsgrösse, an welcher die Abweichung beziehungsweise die Differenzierung der Verneinung gemessen wird.

In der gesprochenen Sprache wird eine Verneinung durch die Modulation der Stimme und/oder durch das Hinzufügen verstärkender oder abschwächender Worte differenziert. In der geschriebenen Sprache geschieht dies durch das Hinzufügen verstärkender oder abschwächender Worte sowie durch Interpunktion und Hervorheben einzelner Worte.

 

Differenzierungen von verneinenden Gebärden werden grösstenteils durch Modifikationen der Bewegung realisiert. Eine weitere Möglichkeit ist es, eine einhändige Gebärde mit beiden Händen beziehungsweise eine zweihändige Gebärde nur mit einer Hand auszuführen.

Im ersten Fall wird die Grundform erweitert, die Verneinung dadurch verstärkt. Im zweiten Fall wird die Grundform reduziert, die Verneinung also abgeschwächt.

Mit einer Verneinung beziehungsweise Negation wird ausgedrückt, dass etwas nicht existiert, nicht passiert, nicht der Fall ist. In DSGS gibt es dazu zahlreiche lexikalisierte Gebärden. Einige Beispiele:

 

(a) ‚KEIN‘ – 00:16-00:17

(b) ‚NIE‘ – 00:17-00:18

(c) ‚NULL‘ – 00:19-00:20

(d) ‚NICHT‘ – 00:20-00:21

 

Die manuellen Komponenten (Handform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung) und die nichtmanuellen Komponenten dieser lexikalisierten Gebärden haben eine klar definierte Grundform. Um eine Verneinung zu differenzieren, weichen die manuellen und nichtmanuellen Komponenten von ihrer Grundform ab, sie werden modifiziert.

Die lexikalisierte Gebärde ‘DA’ zeigt Besitz, Eigentum oder Zugehörigkeit aus, drückt aus, dass über etwas verfügt wird, etwas vorhanden ist:

 

(a) ‘DA’ (2 Varianten) – 00:06-00:08

 

Dazu einige Beispiele:

 

(b) MÄDCHEN  IXa  | DA  BALL  ||00:24-00:27

‘Das Mädchen hat einen Ball.’

 

(c) IXa  FAMILIE  |  DA  FÜNF KINDER  ||00:30-00:33

‘Die Familie hat fünf Kinder.’

 

(d) MANN  IX|  DA ARBEITEN  ||00:35-00:39

‘Der Mann hat Arbeit.’

 

Die deutsche Sprache kennt die beiden Hilfsverben ‘sein’ und ‘haben’. Das Hilfsverb ’sein’ bedeutet u.a. eine bestimmte Eigenschaft oder Art zu haben. Im Beispiel ‘Das Mädchen ist traurig’ dient es dazu, einen inneren Zustand, eine Befindlichkeit auszudrücken.

Das Hilfsverb ‘haben’ drückt Besitz, Eigentum oder Zugehörigkeit aus, drückt aus, dass über etwas verfügt wird, etwas vorhanden ist.

Die Hilfsverben ‘haben’ und ‘sein’ dienen in der deutschen Sprache darüber hinaus dazu, Tempus und Modus auszudrücken. Im Gegensatz dazu drückt die Gebärde ‘DA’ lediglich Besitz usw. aus.

 

Es folgen zwei Beispiele dazu, wie in DSGS die Inhalte und Funktionen von ‘sein’ und ‘haben’ umgesetzt werden:

 

(e) MANN  IX-3a TRAURIG  IX-3a  ||01:23-01:27

‘Der Mann ist traurig.’

 

In diesem Beispiel (e) wird der innere Zustand des Mannes ausgedrückt, er ist traurig. Die DSGS verzichtet auf ein Hilfsverb wie ‘sein’.

 

(f)  IX-3a  MANN  GESTERN  LESEN  ||01:34-01:38

‘Der Mann hat gestern gelesen.’

 

In DSGS wird die Zeitangabe alleine durch die Gebärde ‘GESTERN’, welche vor dem Verb ‘LESEN’ steht, ausgedrückt. Das Verb ‘LESEN’ selbst wird nicht modifiziert. Im Deutschen setzt sich dieselbe Zeitangabe aus dem flektierten Hilfsverb ‘hat’ und dem flektierten Vollverb ‘gelesen’ zusammen.

Einfache Verben, übereinstimmende Verben und produktive Verbformen unterscheiden sich durch die Modifikationsmöglichkeiten. Während bei den produktiven Verbformen alle Parameter modifiziert werden können, sind bei den übereinstimmenden Verben nur Handstellung, Bewegung, Ausführungsstelle und bei den einfachen Verben ist nur die Ausführungsstelle modifizierbar.

Dieselbe Tätigkeit kann sowohl durch ein einfaches Verb, ein übereinstimmendes Verb oder durch eine produktive Verbform ausgedrückt werden.

 

Viele lexikalisierte Verben gehören zur Kategorie der einfachen Verben, dies ist aber nicht zwingend der Fall.

Ein übereinstimmendes Verb kann ebenfalls als einfaches Verb ausgeführt werden wie z.B. das Verb ‘FRAGEN’:

 

(a) FRAGEN als übereinstimmendes Verb

FRAU  IX-3a  3aFRAGEN3b  MANN  IX-3b  ||00:49-00:50

 

In diesem Beispiel (a) wird die Tätigkeit des Fragens als übereinstimmendes Verb mit Ausgangspunkt beim Subjekt und Endpunkt beim Objekt umgesetzt.

 

(b) FRAGEN als einfaches Verb

FRAU  IX-3a    FRAGEN  MANN   IX-3b  ||00:54-00:56

 

Die Tätigkeit des Fragens wird in diesem Beispiel (b) in Form eines einfachen Verbs umgesetzt, die Übereinstimmung wird lediglich durch Indexierung angezeigt.

Variante (a) (übereinstimmendes Verb) ist jedoch viel klarer.

In Gebärdensprache gibt es eine gewisse Freiheit bezüglich Wahl der Verbart. Ein Inhalt kann sowohl durch ein einfaches Verb, ein übereinstimmendes Verb oder durch eine produktive Verbform umgesetzt werden. Je detaillierter etwas wiedergegeben werden soll, desto höher ist der Anteil an produktiven Verbformen. Es folgen Beispiele mit unterschiedlichen Verbarten:

 

(a) ICH  GERN  WASSER  TRINKEN  ||00:27-00:30

‘Ich trinke gerne Wasser.’

 

Die Information in diesem Beispiel (a) ist allgemein gehalten.

 

(b) ICH  GERN  WASSER  ICH  PROD-drehen(Wasserhahn+Rolle:aus dem Wasserhahn trinken)   ||00:35-00:38

‘Ich trinke Wasser gerne direkt vom Wasserhahn.’

 

In diesem Beispiel (b) wird genau angegeben, welche Art von Wasser und wie dieses gerne getrunken wird: Leitungswasser direkt vom Wasserhahn, nicht aus einem Glas. Das Hinzufügen einer produktiven Verbform zu einem einfachen Verb liefert zusätzliche Informationen.

 

(c) ICH ARBEITEN | PROD-tippen(+Rolle)  ||01:01-01:03

‘Ich bin am Arbeiten.’

 

‘ARBEITEN’ gehört in der Regel zu den einfachen Verben. In diesem Beispiel (c) wird die Tätigkeit des Arbeitens jedoch spezifiziert (arbeiten am Computer) durch den Rollenwechsel und das Hinzufügen einer produktiven Verbform (Handhabung der Tastatur).

 

Die Spezifizierung der Tätigkeit des Arbeitens ist auch in folgendem Beispiel ersichtlich:

 

(d) ICH ARBEITEN | PROD-streichen(Wand + Rolle)  |  PROD-staubsaugen(+Rolle)  ||01:19-01:23

‘Ich streiche die Wände und sauge den Boden.’

 

Rollenwechsel und produktive Manipulationsverben vermitteln, dass die Arbeit aus dem Streichen der Wände und dem Staubsaugen besteht.

Von den einfachen Verben über die übereinstimmenden Verben bis hin zu den produktiven Verbformen steigt die Komplexität, da die Modifikationsmöglichkeiten zunehmen.

Ob ein Inhalt durch ein einfaches Verb, ein übereinstimmendes Verb oder eine produktive Verbform ausgedrückt wird, ist abhängig vom Kontext und von der Textsorte. Grob unterschieden werden die Textsorten Erzählung, Erklärung, Information/Bericht, Beschreibung und künstlerischer Ausdruck:

 

Erzählung:

In einer Erzählung wird meist ein Erlebnis, Ereignis, eine Beobachtung oder auch eine Geschichte (z.B. Kinderbuch) möglichst präzise wiedergegeben. Daher nutzt diese Textsorte viele produktive Verbformen sowie auch viele Rollenwechsel, welche konstruierte Aktion und konstruierten Dialog beinhalten (siehe Kapitel 11).

 

Information/Bericht:

Eine sachliche Information wie das Erläutern eines Programms, das Ankündigen eines Arbeitsauftrags oder der Rückblick auf die vergangene Wettersituation wird weniger mit produktiven Verbformen, sondern meist durch einfache und übereinstimmende Verben ausgedrückt.

 

Beschreibung:

Die Beschreibung einer Kaffeemaschine und ihrer Funktionsweise erfordert einen höheren Grad an Detailgenauigkeit und daher einen grossen Anteil an produktiven Verbformen, wie folgendes Beispiel zeigt:

 

(a) – 01:51-01:54

Die indizierende (oder Pfad-) Technik vermittelt Informationen zur Fortbewegung eines Objekts von einem Ausgangspunkt zu einem Zielpunkt. Richtung und Richtungsänderungen können präzise angegeben werden, in dem sie mit dem Zeigefinger nachgezeichnet werden. Dies zeigen folgende Beispiele:

(a) – 00:15-00:18

 

In diesem Beispiel (a) wird mit dem Zeigefinger der genaue Flugverlauf eines Vogels wiedergegeben.

(b) – 00:27-00:35

 

In diesem Beispiel (b) werden sowohl der Weg einer Flüssigkeit in einer chemischen Anlage als auch die Art und Weise ihrer Fortbewegung (fliessen, tropfen, steigen) veranschaulicht.

(c) – 00:40-00:46

 

Der Zeigefinger zeichnet hier den Weg und die Art und Weise der Fortbewegung des Fussballs während eines Spiels nach (in die Luft gekickt, auf den Boden fallend, im Zickzack von einer Seite zur anderen springend).

Die stempelnde Bilderzeugungstechnik wird für die Beschreibung von Mustern, d.h. für die Darstellung von sich regelmässig wiederholenden Formen, benutzt.

 

Dazu einige Beispiele:

(a) ‘Roter Pullover mit weissen Punkten.’

– 00:16-00:20

 

Die F-0 Handform O gibt die Form des einzelnen Motivs (Punkt) wieder, die Bewegung die Regelmässigkeit und Wiederholung des Motivs. So entsteht das Bild eines Stempels, welcher weisse Punkte auf den roten Pullover setzt.

 

(b) ‘Bub mit Gesicht voller Sommersprossen.’

– 00:25-00:29

 

Die Fingerkuppen stehen in diesem Beispiel für die einzelnen Sommersprossen. Das Muster ergibt sich aus der sich wiederholenden Stempelbewegung.

 

Auch aus den folgenden Beispielen wird ersichtlich, dass die Handform die Form des einzelnen Motivs und die Bewegung das Muster (Regelmässigkeit und Wiederholung des einzelnen Motivs) wiedergibt.

 

(c) ‘Er/sie trägt ein weisses Oberteil mit schwarzen Streifen.’

– 00:33-00:39

 

(d) ‘Fussgängerstreifen.’

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